Statement 25.09.2021

Von Prof. Dr. Christoph Benz, Präsident der Bundeszahnärztekammer

Die Krankheit kommt auf leisen Sohlen. Es ist eine Volkskrankheit, über die das Volk wenig weiß. Und eine Erkrankung, die unbehandelt mehr Zündstoff enthält als die meisten Patientinnen und Patienten ahnen: Parodontitis, eine entzündliche Erkrankung des Zahnhalteapparats, der in der Fachsprache Parodont genannt wird – daher der Name der Erkrankung.

Der diesjährige Tag der Zahngesundheit steht unter dem Motto „Gesund beginnt im Mund – Zündstoff!“ und spricht damit gleich zwei Besonderheiten der Parodontitis an: Es handelt sich um eine chronische Entzündungskrankheit, die neben Karies die häufigste und wohl bekannteste Erkrankung des Mundraums ist. Und: Eine Parodontitis kann starke Auswirkungen auf unsere Allgemeingesundheit haben.

Die Erkrankung beginnt mit einer Entzündung des Zahnfleisches – der sogenannten Gingivitis. Hält diese Entzündung länger an, können Zahnfleischtaschen entstehen, in denen sich Bakterien sammeln. Diese bakterielle Infektion löst eine Abwehrreaktion des Körpers aus, bei der auch das Gewebe beschädigt werden kann, das den Zahn im Kieferknochen verankert. Die Folge: ein parodontaler Attachmentverlust und Knochenabbau. Unentdeckt und unbehandelt droht nach einem langen, über Jahre dauernden Prozess der Zahnverlust. Betroffen sein können einzelne Zähne, aber je nach Schwere der Erkrankung auch das gesamte Gebiss. Das häufigste Symptom ist Zahnfleischbluten, die Parodontitis kann aber auch die Ernährung, das Sprechen, das Selbstbewusstsein und das Wohlbefinden der Patientinnen und Patienten beeinträchtigen.

Und wie schon erwähnt: Gefahren birgt die Erkrankung nicht nur für den Mundraum. Bei einer Parodontitis können die Bakterien und Entzündungsstoffe in den Blutkreislauf gelangen und jenseits des Mundraums Entzündungen auslösen. Diabetes mellitus, Rheuma, chronische Atemwegserkrankungen oder kardiovaskuläre Erkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall – wissenschaftliche Studien belegen, dass es Wechselbeziehungen zwischen diesen Krankheiten und der Parodontitis gibt. Wer der Parodontitis vorbeugt, tut also seinem gesamten Körper Gutes.Im Kampf gegen die Parodontitis gibt es Erfolge: Die Fünfte Deutsche Mundgesundheitsstudie (DMS V) hat ergeben, dass die Zahl der Menschen mit Parodontal-erkrankungen in Deutschland abnimmt. Die schweren Parodontalerkrankungen haben sich bei den jüngeren Erwachsenen (35- bis 44-Jährige) halbiert, bei den jüngeren Seniorinnen und Senioren (65- bis 74-Jährigen) gibt es einen rückläufigen Trend trotz mehr erhaltener Zähne. Die Zahlen dieser Gruppe zeigen aber auch, dass noch viel zu tun ist. Bei den jüngeren Seniorinnen und Senioren liegt bei jeder zweiten Person eine Parodontalerkrankung vor, jede fünfte hat sogar eine schwere Parodontitis. Bei den älteren Senioren – also den 75- bis 100-Jährigen – weisen sogar neun von zehn Menschen eine moderate bzw. schwere Parodontitis auf.

Es sind letztlich Erfolge, die zu neuen Problemen führen. Wir werden immer älter und wir haben in fortgeschrittenem Alter mehr Zähne als früher – das sind Erfolge des medizinischen Fortschritts, über die wir uns alle freuen. Alter bzw. Zähne im Alter sind aber Faktoren, die die Entstehung einer Parodontitis begünstigen. Unsere Erfolge im Kampf gegen die Parodontitis werden also ausgeglichen durch unsere Erfolge beim gesunden Altern und beim Zahnerhalt im Alter. Denn die älteren Bevölkerungsgruppen werden auch die vorherrschenden Patientengruppen sein.Es besteht also weiterhin Handlungsbedarf, um die Parodontitis auch bei den älteren Patientengruppen einzudämmen und zurückzudrängen. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) als höchstes Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen hat deshalb eine neue Richtlinie zur systematischen Behandlung von Parodontitis und anderer Parodontalerkrankungen (PAR-Richtlinie) beschlossen, mit der die Zahnärzteschaft die Zahl der Parodontitisfälle in Deutschland weiter senken will.

Zähne können durch eine gezielte Vorsorge bis ins hohe Alter erhalten bleiben – ein zahnloser Lebensabend ist also kein unvermeidbares Schicksal. Das geht aber nur, wenn die Patientinnen und Patienten mitmachen und am Ball bleiben. Die Parodontitis ist eine chronische Erkrankung und zur Behandlung und Verhinderung einer weiteren Verschlimmerung ist ein nachhaltiges Therapiekonzept erforderlich. Eine Spritze oder Tablette, die alle Probleme löst, gibt es bei der Parodontitis-Behandlung nicht.

Ähnlich wie bei der Kariesprävention steht die Aufklärung der Bevölkerung über parodontale Gesundheit und die nötigen Präventionsmaßnahmen an erster Stelle. Prävention bedeutet regelmäßige Mundhygiene, zweimal am Tag Zähneputzen, Zahnseide oder Zahnzwischenraumbürsten anwenden und die Zahnärztin oder den Zahnarzt regelmäßig zur Prophylaxe und zur professionellen Zahnreinigung (PZR) aufsuchen. Die gezielte Mitarbeit von informierten und motivierten Patientinnen und Patienten beugt in vielen Fällen erfolgreich der Entstehung einer Parodontitis vor.Zu einer fachgerechten Parodontitistherapie gehören das ärztliche Gespräch, die Reevaluation und eine strukturierte Nachsorge in Form der unterstützenden Parodontitistherapie (UPT). Diese Leistungen fehlten bislang im aktuellen Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung, sind aber notwendig, um Behandlungserfolge langfristig zu sichern. Hier hat die PAR-Richtlinie Abhilfe geschaffen und die Parodontitistherapie auf den neuesten Stand der wissenschaftlichen Forschung gebracht.

Zündstoff kann ein Feuerwerk, einen Grill oder eine Debatte befeuern, aber vom Mundraum sollte man ihn fernhalten. Die neue PAR-Richtlinie ist eine Chance, neben Karies auch Parodontitis, die zweite große Munderkrankung in Deutschland, einzudämmen und zurückzudrängen. Der Tag der Zahngesundheit ist eine gute Gelegenheit, den Scheinwerfer auf diese unauffällige Krankheit zu richten. Die Bundeszahnärztekammer hat sich vorgenommen, bei diesem Thema nicht nachzulassen und die Patientinnen und Patienten weiter über die Erkrankung und die Präventions- und Therapiemöglichkeiten zu informieren. Denn der Zündstoff Parodontitis hat im Mundraum nichts zu suchen und im restlichen Körper genauso wenig.

Für Rückfragen:
Dr. Sebastian Ziller,
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