Statement 08.09.2017

Von Prof. Dr. Dietmar Oesterreich, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer

Gesamter Audio Mitschnitt des Statements:

Sehr geehrte Damen und Herren,

I. Fokusthema Milchzähne

Milchzähne sind die ersten Zähne und sowohl wichtig für die Entwicklung des Kauorgans, als auch für die psychosoziale und gesunde Entwicklung des Kindes. Ohne gesunde Milchzähne nehmen Kinder nicht altersentsprechend an Gewicht zu. Sie können nicht richtig sprechen lernen, und wenn sie sichtbar kariös zerstörte Zähne im Mund haben oder sogar Zähne bereits fehlen, wächst die Gefahr der sozialen Ausgrenzung.

II. Erfolge und Defizite

Die Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde hat mit ihrer präventionsorientierten Neuausrichtung vor mehr als 25 Jahren, sehr eindrucksvoll die Richtigkeit und Effektivität der eingesetzten Präventionsstrategien belegt. Die hohe Zahl an gesunden Zähnen ist der Grundstein für eine gute Mundgesundheit auch im Erwachsenenalter – und im besten Fall ein Leben lang.

Dieser Erfolg beruht wesentlich auf regelmäßiger Mundhygiene, auf Fluoridanwendung und der Versiegelung der Kauflächen der Backenzähne sowie der regelmäßigen Inanspruchnahme zahnärztlicher Kontrolluntersuchungen. Dies bedeutet, dass auch die Anleitung zur richtigen Mundhygiene im Rahmen der Gruppenprophylaxe einen wichtigen Beitrag geleistet hat. Gesundheitserziehung und Gesundheitsförderung sind wichtige Bausteine auch für die Herstellung von gesundheitlicher Chancengleichheit in diesem Kontext.

Es gibt aber nach wie vor Bevölkerungsgruppen, die am Fortschritt der Zahnmedizin und an der umfassenden Präventionsarbeit zu wenig partizipieren. Das betrifft beispielsweise Kleinkinder, Kinder und Jugendliche in prekären Lebenslagen, mit Migrationshintergrund oder auch mit einer Behinderung. Und dies gilt sowohl für das häusliche Umfeld als auch für die Betreuung in Kindertageseinrichtungen und Schulen.

III. Frühkindliche Karies

Es ist ein Irrglaube, dass die Milchzahnkaries „sich auswachse“ und „schon nicht so schlimm“ sei. Milchzähne werden somit generell in ihrer Bedeutung unterschätzt. Während bei Kindern und Jugendlichen im Alter von zwölf Jahren in den letzten Jahren ein deutlicher Kariesrückgang verzeichnet werden konnte, ist diese positive Tendenz im Milchgebiss so nicht zu beobachten. Tatsache ist, dass deutschlandweit bei den unter Dreijährigen Kindern schon 15 Prozent von Karies betroffen sind.

Frühkindliche Karies tangiert alle Bevölkerungsgruppen, aber besonders Familien in sozial schwierigen Lebenslagen. Ursachen für die Frühkindliche Karies sind exzessives Trinken von zucker- und säurehaltigen Getränken aus Saugerflaschen und Trinkhilfen in Verbindung mit einer nicht oder nicht ausreichend durchgeführten Mundhygiene im frühen Kindesalter. Um hier nachhaltige Präventionserfolge erzielen zu können, sind fachübergreifende Konzepte notwendig.

IV. Ärztliche Kinderuntersuchungen für die Kleinsten verbessert

Umso erfreulicher ist es deshalb, dass das neue gelbe Kinderuntersuchungsheft (U-Heft) im letzten Jahr mit neuen Regelungen in Kraft trat. Stärker als bisher sollen die Kinderärzte u.a. auch auf die Zahngesundheit achten und Eltern rechtzeitig zum Besuch eines Zahnarztes auffordern. Dafür haben sich BZÄK und KZBV in den letzten Jahren vehement bei Politik und Gesetzgeber eingesetzt. Derzeit obliegt es dem G-BA, Art und Umfang der Leistungen sowie Altersgrenzen und Häufigkeit der neuen Untersuchungen vor dem 30. Lebensmonat zu bestimmen. Die entsprechenden Beratungen dazu sowie zu Effekten der therapeutischen Fluoridierung dauern noch an.

V. Gruppenprophylaxe wirkt sozialkompensatorisch

Die seit über 25 Jahren im Sozialgesetzbuch V fest verankerte Gruppenprophylaxe (GP) leistet einen gesundheitsfördernden, primär- und sekundärpräventiven Beitrag zur Mundgesundheit aller Kinder in deutschen Betreuungs- und Bildungseinrichtungen. Im Schuljahr 2013/2014 nahmen bundesweit insgesamt 4,93 Millionen Kinder und Jugendliche an der Gruppenprophylaxe teil, viele von ihnen mehrmals pro Jahr. In Kindergärten und Grundschulen beträgt der jährliche Betreuungsgrad derzeit rund 80 Prozent aller Kinder. Damit ist die zahnärztliche Gruppenprophylaxe das reichweitenstärkste Präventions- und Gesundheitsförderungs-Angebot für Kinder und Jugendliche in Deutschland.

Mit den Empfehlungen „Frühkindliche Karies: zentrale Inhalte der Gruppenprohylaxe für unter 3-jährige Kinder“ aus dem Jahr 2012 und aktualisiert im Jahr 2016 hat die Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Jugendzahnpflege (DAJ) auf der Grundlage kindheitswissenschaftlicher Erkenntnisse, sich besonders dieser Zielgruppe zugewendet. Umsetzungen in den Ländern zeigen bereits, dass knapp 33 Prozent mit diesen Maßnahmen erreicht werden. Eine der zentralen Forderungen dabei ist, dass diese Altersgruppe täglich nach einer Hauptmahlzeit gemeinsam mit Ihrer Bezugsperson in der Kita die Zähne putzt. Zentral ist es in dieser Lebensphase, die Bezugspersonen zu erreichen.

Und: Gruppenprophylaxe wirkt sozialkompensatorisch, denn sie erreicht gerade diejenigen, die selten eine Zahnarztpraxis aufsuchen. Sie trägt so zur gesundheitlichen Chancengleichheit bei.

VI. Gesundheitspolitik und Kassen müssen Farbe bekennen

Umso kritischer sehen wir, dass sich nach Inkrafttreten des Präventionsgesetzes die gesetzlichen Krankenkassen (GKV) mittlerweile in einer Doppelrolle befinden, da sie durch den Gesetzgeber gleichermaßen mit der Umsetzung des § 21, SGB V (Gruppenprophylaxe) sowie mit der neu formulierten Umsetzung des § 20/20a beauftragt sind. Dabei können weder eine Doppelfinanzierung von Aufgaben in der Gruppenprophylaxe noch gegenseitige Störeffekte durch Konkurrenzangebote GKV vs. Landesarbeitsgemeinschaften für Jugendzahnpflege im Sinne des Gesetzgebers sein. Das Präventionsgesetz soll eben nicht die Gruppenprophylaxe schwächen. Im Gegenteil – die Gruppenprophylaxe war Vorbild für die Gesundheitspolitik. Dennoch gibt es Krankenkassen, die genau dies tun, indem sie Unterrichtsmodule zur Mundgesundheit anbieten, die nicht in Abstimmung mit den Strukturen der Gruppenprophylaxe stehen und nicht den Qualitätsanforderungen entsprechen. Sie nehmen aber auf diese Strukturen Bezug und suggerieren, dass auf die Gruppenprophylaxe verzichtet werden oder zwischen beiden Varianten (Angebot nach § 20 oder GP nach § 21 SGB V) gewählt werden könne.

Als alternierender Vorsitzender der DAJ aber auch als Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer (BZÄK) möchte ich dafür werben, dass sich die Gesundheitspolitik und die gesetzlichen Krankenkassen auch weiterhin aktiv für die Erhaltung zur Gruppenprophylaxe nach § 21 SGB V einsetzen und sich zu ihr bekennen. Das bedeutet, dass ausschließlich die in den Landesschul-, Kita- und Gesundheitsdienst-Gesetzen konkret zugewiesenen Aufgaben der zahnmedizinischen Gruppenprophylaxe nach § 21 SGB V zur Umsetzung kommen und diese nicht durch § 20-Maßnahmen der GKV konterkariert werden. Dazu ist es erforderlich, entsprechend der Bundesrahmenempfehlung der Nationalen Präventionskonferenz, die Erhaltung der effektiven Strukturen der zahnmedizinischen Gruppenprophylaxe auch in die Landesrahmenempfehlungen aufzunehmen.

VII. Weiter Initiative zeigen

Die Aufgabe, Zahn- und Mundgesundheit im Rahmen der Gruppenprophylaxe zu fördern und die Maßnahmen zur Verhütung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten bei Kindern zu koordinieren, ist sehr fachspezifisch. Ihre Umsetzung jedoch ist an die Stärkung gesundheitlicher Potentiale, Kompetenzen und Orientierungen von klein auf geknüpft. Das wiederum stellt eine interdisziplinäre Anforderung dar, zu der die DAJ, die Landesarbeitsgemeinschaften und die Zahnärzte mit ihren Teams in den deutschen Kitas und Schulen einen erheblichen Beitrag leisten und bei der ressortübergreifende Zusammenarbeit notwendig ist. Damit wird gleichzeitig die Vernetzung zwischen den verschiedenen Präventionsebenen der Bevölkerungs-, Gruppen- und Individualprophylaxe gewährleistet. Diese Vernetzung hat sich in den letzten Jahren sehr gut entwickelt.

In diesem Zusammenhang wünschen wir uns eine höhere Wertschätzung des Themas Mundgesundheit und unserer erfolgreichen Aktivitäten im Gesamtkontext der Prävention und Gesundheitsförderung.

Abschließend möchte ich im Namen der Bundeszahnärztekammer dem engagierten Praxispersonal, den niedergelassenen Zahnärzten, den Landesund regionalen Arbeitsgemeinschaften für Jugendzahnpflege, den Krankenkassen, den Zahnärzten des Öffentlichen Gesundheitsdienstes sowie den Lehrern und Erziehern, die seit Jahren "vor Ort" an der Umsetzung einer präventionsorientierten Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde arbeiten, ein herzliches Dankeschön für die geleistete Arbeit aussprechen.

Ohne die großartige Unterstützung dieser vielen Partner im Bereich Mundgesundheit wären die bisher erreichten Erfolge – insbesondere in der Kariesprävention – nicht möglich!

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Für Rückfragen:
Dr. Sebastian Ziller
Telefon: +49 30 40005-160
E-Mail: s.ziller@bzaek.de