Statement 08.09.2017

Von Prof. Christian H. Splieth, Leiter der Abteilung Präventive Zahnmedizin & Kinderzahnheilkunde der Universität Greifswald

Gesamter Audio Mitschnitt des Statements:

- Es gilt das gesprochenen Wort -

Sehr geehrte Damen und Herren,

das Motto „Gesund beginnt im Mund – Gemeinsam für starke Milchzähne“ betont, dass bereits mit den Milchzähnen die Grundlage für ein gesundes bleibendes Gebiss gelegt wird.

Leider ist der Zustand des Milchgebisses in Deutschland nicht gut: In sechs Jahren Milchgebiss, das heißt von Lebensbeginn bis zum sechsten Lebensjahr, sammeln Kinder mehr als drei Mal so viel Karies an, wie in den darauf folgenden sechs Jahren im bleibenden Gebiss. 

Hinzu kommt, dass die Kariesrückgänge im Milchgebiss nur halb so hoch sind wie im bleibenden und die Zahl der Narkosesanierungen von kleinen Kindern nicht abnimmt. Noch dazu imponiert circa die Hälfte der Milchzahnkaries seit Jahren als unbehandelte Defekte. Im bleibenden Gebiss hingegen finden sich ausgezeichnete Sanierungsraten. 

Daher ist in Deutschland ein Aktionsprogramm „Gesunde Milchzähne“ nötig, das die vergleichsweise niedrig konzentrierte Kinderzahnpasta – wie in anderen Ländern längst üblich – im Fluoridgehalt anhebt, das eine Gruppenprophylaxe fördert, die auch die Kleinsten mit täglichem Zähneputzen erreicht, und in dessen Rahmen Prophylaxeleistungen endlich vom ersten Zahn an in der zahnärztlichen Regelversorgung erstattet werden. Nur wenn wir uns bei den Milchzähnen die gleiche Mühe geben wie bei den bleibenden Zähnen, können viele Extraktionen bei kleinen Kindern vermieden werden.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Experteninterview zum Tag der Zahngesundheit 2017

„Eltern müssen Kinderzähne putzen – unbedingt!“

Prof. Splieth, wie bleiben Milchzähne gesund?

Prof. Dr. Christian H. Splieth: Milchzähne bleiben gesund, wenn man sie täglich mit fluoridhaltiger Kinderzahnpasta putzt. Das entfernt den Belag und – wenn man mal etwas Süßes gegessen hat – können diese Kohlehydrate nicht in Säure verwandelt werden und die Zähne angreifen. Dabei ist es ganz wichtig, dass man an allen Stellen den Zahnbelag entfernt. Das geht am besten nach der KAI-Technik. Dabei putzt man mit einer Zahnbürste zuerst die Kauflächen und dann die Außen- und Innenflächen der Zähne, immer vom Zahnfleisch weg. Bei den Milchzähnen kann man auch ruhig richtig hin- und herschrubben.

Was hilft außerdem?

Es müssen alle Möglichkeiten der Prophylaxe ausgeschöpft werden. Dazu gehört besonders die Gruppenprophylaxe in öffentlichen Einrichtungen wie Kitas. Dort muss täglich ritualisiert mit den Kindern Zähne geputzt werden. Nur wenn Fluorid regelmäßig in die Gebisse hineinkommt, ist Gruppenprophylaxe auch wirksam. Wichtig sind außerdem regelmäßige Besuche beim Zahnarzt. Wenn dann mal ein Trauma oder Karies behandelt werden muss, haben die Kinder schon ein Verhältnis zu ihrem Zahnarzt aufgebaut. Das nimmt ihnen die Angst vor der Behandlung. Und zum anderen bieten regelmäßige Besuche natürlich die Möglichkeit, Probleme frühzeitig zu erkennen und mit minimalen Maßnahmen zu beseitigen. Das können zum Beispiel Putzanleitungen für Eltern und Kinder sein oder eine Professionelle Zahnreinigung, die ein Fortschreiten der Erkrankung und das Bohren oder Extrahieren vermeiden helfen.

Warum ist ein gesundes Milchzahngebiss besonders wichtig für die gesunde Entwicklung eines Kindes?

Es ist ganz wichtig, sich bewusst zu machen, dass es nicht nur die Milchgebissphase von Lebensbeginn bis circa zur Einschulung gibt. Danach folgen noch sechs Jahre Wechselgebiss. In diesem Zeitraum brechen neben den Milchzähnen die bleibenden Zähne durch. Dabei können die Milchzähne bleibende Zähne mit Zahnbelag und Karies anstecken. Deshalb ist es wichtig, schon vom ersten Zähnchen an mit der Zahnpflege zu beginnen. Es gibt noch einen weiteren Grund, warum das Milchzahngebiss so wichtig ist: Die Milchzähne fungieren als Platzhalter für das bleibende Gebiss.

Wie gefährlich ist dann der vorzeitige Verlust von Milchzähnen?

Der vorzeitige Milchzahnverlust hat zwei Gesichter: Der eine betrifft die Frontzähne, die manchmal frühkindliche Karies haben oder durch einen Unfall verloren gehen. Das ist primär nicht ganz so schlimm, weil die Milchfront sowieso mit etwa sechs Jahren wechselt und auch keine Platzhalterfunktion zu erfüllen hat. Lediglich ästhetisch sehen Kinder dann etwas anders aus. Aus ästhetischen Gründen kann man versuchen, eine Überkronung oder eine Kinderprothese zu machen. Das sieht ansprechender aus und kann vielleicht die Sprachfunktion verbessern. Automatisch passiert dies jedoch nicht. Es gibt Kinder, die lispeln mit Zähnen, und es gibt Kinder, die können auch ohne Frontzähne in der ersten Klasse ganz hervorragend und korrekt sprechen. 

Wie sieht es mit den Backenzähnen aus?

Das ist das zweite Gesicht: Wichtiger als die Milchfront sind die Milchbackenzähne, die erst viel später, mit zehn oder elf Jahren, wechseln und bis dahin eine ganz klare Platzhalterfunktion für nachrückende Zähne übernehmen müssen. Wenn sie die nicht ausfüllen können, nutzt der durchbrechende bleibende Backenzahn, der mit sechs Jahren kommt, diesen Platz und marschiert zu weit nach vorne. Er blockiert die Zähne, die dann mit zehn oder elf Jahren durchbrechen. Sie können ihren eigentlichen Platz im Kiefer nicht einnehmen und es gibt Probleme. 

Was sollte getan werden, wenn Milchzähne vorzeitig verloren gehen?

Mein Rat an Eltern oder eigentlich an Zahnärzte ist, erst einmal die Milchbackenzähne, also die Milchmolaren, zu pflegen und sie zu erhalten, bis das Kind zehn oder elf Jahre alt ist. Wenn die Backenzähne jedoch früher entfernt werden müssen, sollte derjenige, der die Zähne extrahiert, einen Lückenhalter einsetzen, der verhindert, dass der bleibende Backenzahn nach vorne wandert. Das darf nicht erst nach einem halben oder einem dreiviertel Jahr, wenn der Zahn schon gewandert ist, passieren, sondern eigentlich mit der Extraktion oder ganz kurz danach. Darauf sollten Eltern bestehen.

Wie motiviert man Kinder zur Zahnpflege?

Tricks fürs Zähneputzen bei Kleinkindern, die nicht so möchten, sind ein ganz ganz wichtiges Thema. Einer der Tricks ist, den Nachahmungstrieb der Kinder zu nutzen. Dazu gibt man den Kindern eine Zahnbürste und hat selbst eine eigene Zahnbürste, mit der man sich die Zähne putzt. Die Kinder wollen das dann meistens nachmachen. Für die ganz Kleinen gibt es noch einen anderen Trick: Sie haben noch den Saugreflex. Bei ihnen sollten Eltern die Lippe anheben, um den Saugreflex auszuschließen. Grundsätzlich ist es wichtig, mit dem Zähneputzen schon ab dem ersten Zähnchen zu beginnen. Es muss auf dem Wickeltisch zum abendlichen Ritual gehören. Was aus meiner Sicht nicht passieren darf, ist, dass Eltern denken, ihr Kind mit dem Zähneputzen zu traumatisieren und dadurch dann das Zähneputzen lassen. Eltern müssen Kinderzähne putzen. Unbedingt. Auch wenn die Kinder es manchmal nicht so witzig finden, auch wenn die Kinder klein sind, auch wenn sie manchmal ein bisschen weinen. 

Welche Pflegeprodukte braucht man?

Man braucht eigentlich sehr wenige Zahnpflegeprodukte: eine Kinderzahnbürste, also eine kleine Handzahnbürste für Kinder, und Fluoridzahnpasta. Damit kann man dann die Zähne putzen wie bei einem Erwachsenen. Gummilinge oder Ähnliches lenken nur ab von der Konditionierung auf Zahnbürste und Zähne putzen, die früh anfangen sollte.

Warum haben Kinder eine andere Zahnpasta als Erwachsene?

Beim Unterschied zwischen Kinderzahnpasta und Erwachsenenzahnpasta muss man leider sagen, dass wir in Deutschland vielleicht nicht die beste Wahl getroffen haben. Unsere Kinderzahnpasta hat 500 Anteile Fluorid, Erwachsenenzahnpasta hat 1.500. Die kariespräventive Wirksamkeit, die vom Fluoridanteil abhängt, liegt bei Kinderzahnpasta deshalb erheblich niedriger. Die Europäische Gesellschaft für Kinderzahnheilkunde empfiehlt, was viele andere Länder auch umsetzen, mit der Kinderzahnpasta näher an die Erwachsenenzahnpasta zu rücken. Das wäre eine gute Idee auch in Deutschland. Mein Rat für Kinder, die ein Kariesproblem haben, lautet immer, schon vor sechs Jahren mit Erwachsenenzahnpasta putzen. Das hat deutliche Vorteile.

Warum gibt es dann überhaupt eine spezielle Kinderzahnpasta mit reduziertem Fluoridgehalt?

Diese Entscheidung basiert darauf, dass man ganz kleine Kinder bei der Zahnentwicklung der bleibenden Zähne davor schützen möchte, dass sie zuviel Fluoride aufnehmen. Das kann insbesondere passieren, wenn sie Fluoridtabletten nehmen und dann noch Zahnpasta verschlucken. Das heißt, es ist ein Vorsichtskonzept. Aber da die Fluoridtablette nicht so deutlich zu empfehlen ist und man sich eher auf das Zähneputzen konzentrieren sollte, kann man durchaus – wenn ein Kind die Zahnpasta schon vernünftig dosieren kann – auch bei Kindern unter sechs Jahren bereits eine Zahnpasta verwenden, die ab sechs Jahre ist und die einen vollen Fluoridgehalt hat. Gerade bei kariesgefährdeten Kindern ist das sehr hilfreich und vernünftig und deckt sich auch mit der europäischen Empfehlung.


Zur Person

Prof. Dr. Christian Splieth, geboren 1964 in Bremen, studierte von 1985 bis 1990 Zahnmedizin in Göttingen, Leeds/England und Minneapolis/USA. Nach seiner Assistenzzeit bei niedergelassenen Zahnärzten in Duisburg und Northeim wurde er 1993 nach seiner Promotion wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. Heute leitet er dort die Abteilung Präventive Zahnmedizin & Kinderzahnheilkunde. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören neben der Kariologie und Kinderzahnheilkunde die Bereiche Epidemiologie, Gesundheitsökonomie, Problemorientiertes Lernen und Lehrevaluation.

Weitere Infos: http://www.dental.uni-greifswald.de/abteilung/kinder/staff/splieth.php

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