Statement 08.09.2017
Von Dr. Michael Kleinebrinker, Referatsleiter beim GKV-Spitzenverband
Gesamter Audio Mitschnitt des Statements:
Meine Damen und Herren,
als Motto des diesjährigen Tages der Zahngesundheit hat der bundesweite Aktionskreis, dem neben Zahnärzten, Krankenkassen und dem öffentlichen Gesundheitsdienst viele weitere Organisationen angehören, „Gesund beginnt im Mund – Gemeinsam für starke Milchzähne“ herausgegeben.
Doch bevor im Folgenden näher auf das Thema Milchzähne eingegangen wird, soll der Blick kurz auf die Mundgesundheit der 12-jährigen Kinder gerichtet werden. In dieser Altersgruppe ist es in den letzten mehr als 20 Jahren zu einem beispiellosen Kariesrückgang gekommen. Als Index für die Messung der Karieslast dient der sogenannte DMFT-Index. Dieser ist bei den 12-Jährigen von 2,4 im Jahr 1994 auf 0,7 im Jahr 2009 und nochmals auf 0,5 im Jahr 2016 gesunken. Über 80 Prozent der 12-Jährigen sind heute kariesfrei. Es gilt in der Zwischenzeit als erwiesen, dass zu dieser Entwicklung nicht ein einzelner Faktor, sondern eine Kombination aus verschiedenen Faktoren beigetragen hat. Hier sind in erster Linie die Verwendung fluoridhaltiger Zahnpasta, die Inanspruchnahme der Gruppen- und Individualprophylaxe, lokale Fluoridierungen bspw. mit Fluoridlack in der Zahnarztpraxis oder im Rahmen der Gruppenprophylaxe sowie ein insgesamt stärkeres Bewusstsein für die Mundgesundheit zu nennen.
Im Milchgebiss ist die Karieslast dagegen deutlich höher und der Kariesrückgang insgesamt weniger stark ausgeprägt. Im Jahr 1994 wiesen die 6- bis 7-jährigen Kinder einen DMFT-Wert von 2,9 auf. Dieser ist bis zum Jahr 2009 auf 1,9 gesunken. Damit ist die Karieslast im Milchgebiss mehr als doppelt so hoch als bei den 12-Jährigen - ein unbefriedigender Zustand, da die Milchzähne eine hohe Bedeutung für die gesunde Entwicklung des Kindes insgesamt haben. Milchzähne sind wichtig zum Kauen, Sprechen und für die zwischenmenschliche Interaktion. Sie haben die Funktion eines Platzhalters für die bleibenden Zähne. Gehen sie frühzeitig aufgrund von Karies verloren, brechen die bleibenden Zähne u. U. nicht richtig durch und es kann zu Fehlstellungen kommen. Darüber hinaus sind kariöse Milchzähne häufig der Auslöser von Schmerzen und oftmals nur in Narkose zu behandeln. Ziel muss es daher sein, auch im Milchgebiss die Karieslast weiter zu reduzieren. Im Folgenden sollen möglichen Ursachen dafür aufgezeigt werden, warum dies im Vergleich zu den 12-Jährigen noch nicht so gut gelingt und was ggf. noch zur Verbesserung der Situation getan werden kann.
Schon heute können die Eltern mit ihren Kindern für eine gesunde Entwicklung der Milchzähne eine Vielzahl von Leistungen in Anspruch nehmen. Hierzu zählen
- regelmäßige zahnärztliche Untersuchungen alle 6 Monate ab der Geburt,
- Früherkennungsuntersuchungen auf Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten beim Kinderarzt,
- zahnärztliche Früherkennungsuntersuchungen ab einem Alter von 2,5 Jahren, einschließlich lokaler Fluoridierungen bei festgestellten hohem Kariesrisiko.
In den vergangenen Jahren wurde von verschiedenen Seiten darauf hingewiesen, dass der derzeitige Beginn der systematischen zahnärztlichen Betreuung ab 2,5 Jahren deutlich zu spät liegt. Der Gesetzgeber hat diesen Hinweis aufgegriffen und mit dem Präventionsgesetz einen deutlich früheren Beginn der systematischen zahnärztlichen Betreuung ermöglicht. Im Moment wird in den zuständigen Gremien des Gemeinsamen Bundesausschusses an der Umsetzung dieses Auftrags gearbeitet. Einzelne Krankenkassen stellen zudem schon heute ihren Versicherten Leistungen für eine systematische zahnärztliche Betreuung ab Durchbruch der ersten Zähne zur Verfügung. Auf der anderen Seite ist allerdings auch festzustellen, dass die derzeitige Inanspruchnahmerate der zahnärztlichen Früherkennungsuntersuchungen sehr niedrig ist. Nur 32 Prozent der Inanspruchnahme berechtigten Kinder in einem Alter von 2,5 bis 6 Jahren nehmen sie tatsächlich in Anspruch. Dieser Wert hat sich über die Jahre kaum verändert. Im Vergleich dazu liegt die Inanspruchnahmerate von Individualprophpylaxeleistungen bei Kindern ab 6 Jahren bei 67 Prozent.
Als weitere Maßnahme wurde angeregt, die kinderärztlichen Früherkennungsuntersuchungen (U-Untersuchungen) und die zahnärztlichen Früherkennungsuntersuchungen zeitlich besser aufeinander abzustimmen. Diese Anregung wurde vom Gemeinsamen Bundesausschuss in der Zwischenzeit im so genannten gelben Kinderuntersuchungsheft umgesetzt. Dort hat der Kinderarzt nun die Möglichkeit, bei Auffälligkeiten an den Zähnen an den Zahnarzt zu verweisen und diesen Verweis im Untersuchungsheft zu dokumentieren. Im Alter von 34 bis 36 Monaten (U7a), im Alter von 46 bis 48 Monaten (U8) und im Alter von 60 bis 64 Monaten (U9) ist im Untersuchungsheft ein spezieller Verweis zu den zahnärztlichen Früherkennungsuntersuchungen in das Untersuchungsheft aufgenommen worden.
Auch in der Gruppenprophylaxe wurden die Grundlagen für eine verbesserte und frühzeitige Betreuung von Kleinkindern gelegt. So hat die Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Jugendzahnpflege (DAJ) im Zusammenhang mit der frühkindlichen Karies erweiterte Empfehlungen zu den zentralen Inhalten der Gruppenprophylaxe für unter 3-Jährige unter Berücksichtigung kindheitswissenschaftlicher Erkenntnisse herausgegeben. Die Betreuung der 0- bis 3-Jährigen in Einrichtungen ist allerdings noch im Aufbau. Die Betreuungsquote liegt derzeit bei etwas über 30 Prozent.
Weitere wichtige Aspekte für die Mundgesundheit auch der Kleinsten sind lokale Fluoridierungen und die Verwendung von Fluoridzahnpasta. Derzeit sind Fluoridierungen, insbesondere Lackfluoridierungen, erst ab einem Alter von 2,5 Jahren in der Zahnarztpraxis möglich. Wir erwarten, dass mit einem früheren Beginn der systematischen zahnärztlichen Betreuung zukünftig auch Fluoridierungen bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen schon vorher durchgeführt werden können. Was die Verwendung fluoridhaltiger Zahnpasta angeht: Hier können die an der Versorgung Beteiligten durch gezielte Informationen zwar unterstützen – letztlich liegt die Umsetzung aber alleine im Verantwortungsbereich der Eltern.
Last but not least könnte ein wesentlicher Grund für die im Vergleich zu den 12-Jährigen deutlich höhere Kariesrate von Kleinkindern auch auf ein noch immer mangelndes Bewusstsein bei den Eltern für die Bedeutung der Milchzähne zurückzuführen sein. Es ist davon auszugehen, dass bei vielen Menschen immer noch die Überzeugung vorherrscht, dass die Milchzähne nicht so wichtig sind, weil sie ja ausfallen. Aus diesem Grund suchen Eltern mit ihren Kleinkindern häufig nur dann die Zahnarztpraxis auf, wenn das Kind Schmerzen hat. Die Inanspruchnahme von Präventionsleistungen, so wie sie sich bei den 12-Jährigen eingebürgert hat, scheint dagegen noch nicht weit verbreitet zu sein.
Lassen Sie mich das zuvor Gesagte kurz zusammenfassen: Vor dem Hintergrund, dass mit dem Präventionsgesetz eine systematische zahnärztliche Betreuung von Kleinkindern ab Durchbruch des ersten Zahnes möglich ist, ist nun allen Beteiligten das notwendige Rüstzeug für die Gesunderhaltung der Milchzähne an die Hand gegeben worden. Hierzu zählen in erster Linie die systematische Betreuung in Form von zahnärztlichen Früherkennungsuntersuchungen ab Durchbruch des ersten Zahnes, die Gruppenprophylaxe sowie die unterschiedlichen Fluoridierungsmaßnahmen.
Das Bewusstsein für die Bedeutung der Milchzähne und damit der Mundgesundheit von Kleinkindern bei Eltern und Erziehungsberechtigten wird dagegen ungleich schwerer zu beeinflussen sein. Dies ist vordringliche Aufgabe der Zahnärzte, weil sie häufig zuerst von den Eltern mit ihren Kindern aufgesucht werden. Aber auch andere an der Versorgung und Betreuung der Kinder beteiligte, wie z. B. Hebammen, Kinderärzte und Prophylaxekräfte sind hier in der Verantwortung. Auch die Krankenkassen können mit entsprechender Aufklärungsarbeit dazu beitragen, das Bewusstsein für die Bedeutung der Milchzähne zu stärken - und das tun sie bereits heute mit zahlreichen Informationen rund um die Pflege der Milchzähne etwa auf ihren Internetseiten, in Flyern und Mitgliederzeitschriften.
Es bleibt zu hoffen, dass mit einem solchen verstärkten Bewusstsein tatsächlich auch die Inanspruchnahmerate der zahnärztlichen Früherkennungsuntersuchungen deutlich steigt. Gleiches gilt für die Betreuungsrate der unter 3-Jährigen in Einrichtungen, die derzeit insbesondere in den westlichen Bundesländern trotz positiver Tendenz noch zu niedrig ist. Eine niedrige Betreuungsrate führt dazu, dass viele der unter 3-jährigen Kleinkinder nicht von den Leistungen der Gruppenprophylaxe profitieren. Das zu ändern ist in erster Linie Sache der Politik, aber auch der Städte, Kommunen, privaten und öffentlichen Träger von Kindertagesstätten. Wir wünschen uns, dass das Gesetz zum weiteren quantitativen und qualitativen Ausbau der Kindertagesbetreuung einen positiven Effekt auf die Betreuungsrate von Kleinkindern hat.
Darüber hinaus sehen die Empfehlungen der DAJ zu den zentralen Inhalten der Gruppenprophylaxe für unter 3-Jährige vor, dass die Kinder sich gemeinsam mit ihrem Bezugserzieher oder ihrer Bezugserzieherin (Vorbildfunktion!) die Zähne putzen. Daraus folgt, dass in den Einrichtungen die Möglichkeit des täglichen Zähneputzens erhalten bzw. noch ausgebaut werden muss. Hier sind die Träger in der Pflicht, mehr als bisher zu tun.
Wir wünschen allen Beteiligten viel Glück bei der Durchführung des diesjährigen Tages der Zahngesundheit und hoffen, dass die vielfältigen an diesem Tag durchgeführten Aktionen nicht zuletzt auch dazu führen, das Bewusstsein für die Bedeutung der Milchzähne zu stärken.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.