Statement 12.09.2012

Von Herrn Prof. Dr. Oesterreich, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer und Präsident der Zahnärztekammer Mecklenburg-Vorpommern

Gesamter Audio Mitschnitt des Statements:

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

die demografische Entwicklung wird einen relativen und absoluten Anstieg der Zahl älterer Menschen mit sich bringen. Dieser Anstieg hat natürlich auch Auswirkungen auf das Krankheitsgeschehen in der Bevölkerung. Nicht nur die Häufigkeit, sondern auch das Spektrum der Krankheiten wird sich verändern. Dabei werden insbesondere chronische Erkrankungen, Multimorbidität und der Bedarf an Pflegeleistungen zunehmen – all das lässt auch die Zahnmedizin nicht unbeeinflusst.

 Mit der heutigen zentralen Auftaktpressekonferenz zum „Tag der Zahngesundheit 2012“ lenken Zahnmediziner und Krankenkassen den Blick deshalb auf die sehr heterogene, aber umso bedeutendere Zielgruppe der älteren Menschen. Der Anteil der Senioren steigt nicht nur in unserer Gesellschaft, sondern nimmt auch in den Zahnarztpraxen einen immer größeren Raum ein. Die Generation der über 65-Jährigen ist heute gesünder als noch vor wenigen Jahren, sie nimmt in der Regel aktiv am gesellschaftlichen Leben teil. Dies spiegelt sich auch bei der Mundgesundheit wider, denn diese Generation hat heute länger und mehr eigene Zähne. Wir wollen heute nicht nur auf erreichte Erfolge blicken, sondern uns intensiv mit den anstehenden Herausforderungen auseinandersetzen.

Zahnärzte: In der Prävention erfolgreich

Die Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde hat mit der gesundheits- und professionspolitischen Neuausrichtung vor mehr als 25 Jahren hin zu einer minimalinvasiven, ursachengerechten und präventionsorientierten Zahnheilkunde sehr eindrucksvoll die Richtigkeit und Effektivität der eingesetzten Präventionsstrategien dokumentiert. So findet sich Deutschland beim Rückgang der Kariesmorbidität bei Kindern und Jugendlichen im Spitzenfeld der internationalen Kariesliga wieder. Damit ist die Zahnmedizin beispielgebend für alle anderen medizinischen Fachbereiche und die ehemals gescholtenen Zahnärzte sind mittlerweile „präventive Musterschüler“ - auch in den gesundheitspolitischen Gremien.

Herausforderung: Prophylaxe ein Leben lang – bis ins hohe Alter

Getreu dem Leitgedanken des oralprophylaktischen Gesamtkonzeptes der Bundeszahnärztekammer (BZÄK) von „Prophylaxe ein Leben lang“ sollen sich diese präventiven Erfolge natürlich über das Kindes- und Jugendlichenalter hinaus auch bei den Erwachsenen und Senioren fortsetzen. Hier sind wir längst noch nicht am Ziel unserer Wünsche, denn der Fokus der zahnmedizinischen Präventionspolitik als auch der wissenschaftlichen Forschung lag jahrzehntelang auf der Gruppe der Kinder und Jugendlichen. Erwachsene und Alte waren nur vereinzelt bzw. gar nicht Zielgruppe von Forschung und Präventionsbemühungen. Mit den Deutschen Mundgesundheitsstudien (DMS) des Kölner Instituts der Deutschen Zahnärzte (IDZ) aus den Jahren 1997 und 2005 liegen uns aber bevölkerungsrepräsentative, epidemiologisch gesicherte Daten zu den dringlichen Mundgesundheitsproblemen bei den Erwachsenen (35 bis 44-Jährige) und bei den Alten (65 bis 74-Jährige) vor, sodass wir um die Herausforderungen wissen.

Prävention im Erwachsenen- und im Seniorenalter hat zum Ziel, orale und systemische Gesundheit sowie die Lebensqualität zu sichern.


Typische Mundkrankheiten bei älteren Menschen

Obwohl in Westeuropa, auch in Deutschland, seit Jahren ein verstärkter allgemeiner Gesundheitstrend besteht - die Menschen verhalten sich gesundheitsbewusster und auch die Mundhygiene hat sich verbessert - sind eine Reihe von Erkrankungsformen bei Senioren nach wie vor gehäuft zu beobachten. In der zweiten Lebenshälfte treten vor allem vier Problembereiche auf: Erstens Parodontalerkrankungen, also Entzündungen des Zahnhalteapparates, zweitens spezielle Formen von Karies, wie Sekundär- und Wurzelkaries. Drittens leiden ältere Menschen häufig unter Mundtrockenheit. Diese wird durch verminderte Speichelproduktion und reduziertes Trinkbedürfnis ausgelöst und tritt meist als Nebenwirkung von Medikamentenbehandlung oder als Folge von Erkrankungen ein, wie z.B. bei Diabetes oder Krebs. Viertens können schließlich mit zunehmendem Alter Mundschleimhauterkrankungen und Tumorerkrankungen im Mund-Rachenraum auftreten, aber auch Entzündungen der Mundschleimhaut, die etwa durch schlecht sitzende Prothesen verursacht werden.

Wie kann der ältere Patient diesen Problemen vorbeugen?

Ein grundlegender Bestandteil der Prophylaxe ist natürlich die tägliche Zahnpflege: Mindestens zweimal am Tag sollten die Zähne mit einer fluoridhaltigen Zahnpasta geputzt werden. Sinnvoll, besonders gegen Parodontitis, sind beispielsweise antibakterielle Zahnpasten, die zusätzlich die Bakterien unter Kontrolle halten, die Entzündungen des Zahnfleisches oder des Zahnbettes auslösen können. Gerade das Zahnbett ist bei älteren Menschen sehr krankheitsanfällig. Die Zahnzwischenräume, die durch die normale Reinigung mit einer Zahnbürste meist nicht völlig erreicht werden, sollten zusätzlich einmal täglich mit Zahnseide oder Zahnzwischenraumbürstchen gesäubert werden. Zusätzlich zur häuslichen Zahnpflege sollte eine halbjährliche Kontrolluntersuchung beim Zahnarzt erfolgen, damit Krankheiten und Schäden rechtzeitig erkannt und behandelt werden können. Da es fast unmöglich ist, alle Zahnbeläge und Zahnstein durch die Zahnpflege zu Hause zu entfernen, empfehlen wir, regelmäßig eine professionelle Zahnreinigung (PZR) in Anspruch zu nehmen. Hierbei werden alle harten und weichen Zahnbeläge mit Spezialinstrumenten entfernt. Dadurch reduziert sich das Risiko, etwa an Parodontitis oder Karies zu erkranken, nachweislich.

Prävention – Versorgung – common risk factor approach

Die Zahnmedizin für Senioren und ältere Menschen ist häufig eine versorgungspolitische Herausforderung, allerdings steckt in ihr ein enormes präventives Potential für die Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde. Wir werden heute von unserer wissenschaftlichen Referentin noch ausführlicher über diese Thematik informiert werden. Zielsetzung aller unserer Bemühungen hierbei wird immer die so genannte Kompression der Morbidität sein. D.h., die Verschiebung der Krankheitslast für den einzelnen Patienten in einen möglichst endständigen Lebensabschnitt.

Neben diesen Herausforderungen auf der Ebene der Morbidität sehen wir, und das im Einklang mit der gesamten Medizin, dass die präventionsorientierte Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde verstärkt von weiteren wichtigen Aspekten beeinflusst wird. Dies sind neben dem schon angesprochenen demografischen Wandel der Gesellschaft

  • der medizinisch-technische Fortschritt,
  • die wissenschaftlich belegte Tatsache, dass orale Gesundheit zunehmenden Einfluss auf die allgemeine Gesundheit einschließlich ihrer psychosozialen Aspekte hat (und umgekehrt),
  • die wachsende Bedeutung der Lebensqualität für die erwachsene und ältere Bevölkerung,
  • der unübersehbare soziologische Gesellschaftstrend, dass die Patienten kritischer und selbstbewusster werden, wenn sie nach Gesundheitsleistungen im Medizinsystem nachfragen.

Es gibt einen Gesundheitsförderungs- und Präventionsansatz, der gerade für den Erhalt der Zahn- und Mundgesundheit älterer Menschen Bedeutung besitzt – und der das Potenzial haben könnte, die sowohl allgemeinen als auch die morbiditätsassoziierten Faktoren umfassend zu beeinflussen. Es geht um den so genannten gemeinsamen Risikofaktorenansatz, der deutlich zeigt, welche Überschneidungen und Gemeinsamkeiten es zwischen der Zahnmedizin und anderen Gesundheitsbereichen gibt. Denn seit längerem ist bekannt: Die Ursachen für Unterschiede in der Gesundheit und für das Entstehen von Erkrankungen sowie die Bedingungen für gesundheitsorientiertes Verhalten sind mehrdimensional. Grob zusammengefasst sind die hierfür verantwortlichen Bereiche zu unterteilen in:

  • Gesundheits (versorgungs) system (Politik,
  • sozio-ökonomisch-kulturelle Umfeldrisiken,
  • biologisch-somatische- und Umweltrisiken.

Der gemeinsame Risikofaktorenkanon von Mund- und Allgemeingesundheit umfasst u. a. die Ernährungsgewohnheiten, das Rauchen, den Stress und die Nutzung regelmäßiger (zahn)ärztlicher Untersuchungen.

Die Zahnmedizin spielt also hinsichtlich der Determinanten und Risikofaktoren im medizinischen Fächerkanon keine Sonderrolle. So unterscheiden sich bspw. Kariesoder Parodontitis im Vergleich zu den koronaren Herzerkrankungen hinsichtlich der Verhaltensrisiken, der sozialen Umfeldrisiken und der somatischen Risiken kaum. D. h., dass wir in der Lage sind, bestimmte Risiken zu beeinflussen und damit gleichzeitig positiv auf die Gesamtgesundheit einwirken können. Insofern ist eine gesundheitspolitische Inklusion der Zahnmedizin in alle präventiven Überlegungen zu fordern.

Das nationale Gesundheitsziel „Gesund älter werden“ und Mundgesundheitsziele

Das neue Gesundheitsziel "Gesund älter werden" bietet hierzu konkrete Ansätze und richtet sich vor allem an die Politik auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene, Kostenträger und Leistungserbringer im Gesundheitswesen, Zivilgesellschaft und Wissenschaft. Das nationale Gesundheitsziel, welches eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe des Kooperationsverbundes gesundheitsziele.de entwickelte, wurde im Frühjahr diesen Jahres von Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr offiziell vorgestellt. Als fünftes von elf Zielen wurde für den zahnmedizinischen Bereich formuliert: „Die Mundgesundheit älterer Menschen soll erhalten bzw. verbessert werden“. Die empfohlenen Maßnahmen sollten möglichst zielgruppengerecht gestaltet werden sowie kultur- sowie geschlechtsspezifische Aspekte berücksichtigen, und insbesondere einen Beitrag zur Verminderung sozial bedingter Ungleichheit von Gesundheitschancen erbringen.

Auch die Bundeszahnärztekammer hat Zielsetzungen zur Mundgesundheit im Alter festgelegt, so soll bis zum Jahr 2020 die Häufigkeit der vollständigen Zahnlosigkeit in der Altersgruppe der 65- bis 74-Jährigen auf möglichst unter 15 Prozent reduziert sein.

Zum Erreichen dieser Ziele müssen viele Einflussbereiche Beachtung finden. Neben patientenspezifischen Faktoren (Mundhygiene, Allgemeinerkrankungen mit Einfluss auf die Mundgesundheit etc.) spielen auch geeignete Behandlungsstrategien für ältere Patientinnen und Patienten, die Versorgungsqualität sowie versorgungspolitische und ökonomische Rahmenbedingungen eine Rolle.

Prävention im Erwachsenen- und im Seniorenalter muss sich deshalb konzeptionell in den Verbund mit anderen präventiven Botschaften stellen und in ein übergreifendes Kommunikationskonzept, welches auf den Lebensalltag abzielt, eingebaut werden.

Der informierte Patient

Ein Baustein unserer zahnärztlichen Konzepte zum Erreichen der Zielsetzungen ist die wissenschaftlich abgesicherte Information unserer Patienten. Im Zentrum unserer Aktivitäten der vergangenen Jahre standen u.a. Informationen über die Wechselwirkungen zwischen oralen und allgemeinen Erkrankungen. Mit dem Leitfaden einer präventionsorientierten Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde im Alter und dem Handbuch der Mundhygiene hat sich die BZÄK sehr erfolgreich dem Thema der Erwachsenen- und Altersprävention zugewandt.

Eine Synergie im Sinne dieser Zielausrichtung ist heute im Rahmen dieser Pressekonferenz, gemeinsam mit den Spitzenverbänden der Krankenkassen und der Deutschen Gesellschaft für Alterszahnheilkunde, zu sehen, die den Auftakt für eine stärkere Aufmerksamkeit für die Beachtung der (Mund)Gesundheit bei älteren Menschen gibt.

Das zahnmedizinische Präventionsanliegen ist integraler Bestandteil der Gesundheitsprävention, Gesundheitserziehung und Information. Der Tag der Zahngesundheit mit seiner Verstetigung und den vielfältigen kreativen Ideen besitzt hierbei einen zentralen Stellenwert. Entsprechend fordern wir an solchen Tagen immer wieder die Berücksichtigung der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde bei sämtlichen Aktivitäten von Gesundheitspolitik und allen Verantwortlichen.

Abschließend möchte ich im Namen der Bundeszahnärztekammer dem engagierten Praxispersonal, den niedergelassenen Zahnärzten, den Landes- und regionalen Arbeitsgemeinschaften für Jugendzahnpflege, den Krankenkassen, den Zahnärzten des Öffentlichen Gesundheitsdienstes sowie den Lehrern und Erziehern, die seit Jahren "vor Ort" an der Umsetzung einer präventionsorientierten Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde arbeiten, ein herzliches Dankeschön für die geleistete Arbeit sagen. Ohne die großartige Unterstützung dieser vielen Partner im Bereich Mundgesundheit bisher erreichten Erfolge - insbesondere in der Kariesprävention.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.