Statement 16.09.2011

Von Prof. Dr. Dr. Ralf J. Radlanski

Gesamter Audio Mitschnitt des Statements:

Gesund beginnt im Mund: Biologische Grundlagen

Das Kauorgan ist der Eingang des Verdauungstraktes. Als biologisches Wesen müssen wir Menschen unseren Stoffwechsel aufrechterhalten, also müssen wir Nahrung aufnehmen. Die Nährstoffe müssen durch Kauen einer Verdauung zugänglich gemacht werden.

Hierfür ist ein gesundes Kauorgan eine Vorbedingung. Nur dann, wenn die Zähne physiologisch korrekt einander zugeordnet sind, kann die Aufgabe des Abbeißens, des Zerkleinerns und des Benetzens mit Speichel erfüllt und der Verdauungsvorgang eingeleitet werden.

VOR DER GEBURT: ZELLENGESUNDHEIT

Schon die Entwicklung eines einzelnen Zahnes stellt höchste Ansprüche an die Leistungsfähigkeit und Koordination jeder einzelnen der mehr als 100.000 beteiligten Zellen. Ein computeranimierter Kurzfilm zur Zahnentwicklung kann dies demonstrieren. Voraussetzung für das ungeborene Kind, dass seine Körperzellen diese Leistung auch störungsfrei erbringen können, ist seine Gesundheit und die der Mutter. Dies bedeutet für die Mutter: ihr Kind anzunehmen, sich selbst biologisch ausgewogen zu ernähren und keine schädigenden Genussmittel zuzulassen, die die Zellleistung beeinträchtigen.

NACH DER GEBURT: ZAHNGESUNDHEIT

Nach dem Durchbruch in die Mundhöhle müssen die Zähne gesund erhalten werden.

Vorgeburtliche Fluoridgaben werden nicht mehr empfohlen. Stattdessen müssen die Zähne, sobald sie im Mund sichtbar werden, gesäubert werden - zunächst ohne Zahnpasta. Die Zahnpflege liegt anfangs in den Händen und in der Aufgabe der Eltern. Neben der Reinigung der Zähne selbst und damit Verminderung der Risiken für Zahnschäden soll dem Kind auch der Geschmack sauberer Zähne selbstverständlich werden. Während die gründliche Zahnreinigung anfangs ausschließlich durch die Eltern erfolgt und das Kind eher spielerisch auf der Zahnbürste herumbeißt, darf es mit zunehmendem Alter selbst nachputzen und schließlich seine Zahnpflege und auch die Verantwortung für die eigene Mundgesundheit mehr und mehr selbst übernehmen. In der Regel kann ein Kind seine Zähne erst dann weitgehend säubern, wenn es dazu motorisch in der Lage ist, meist rund um den ersten Schultag. Das entbindet die Eltern aber nicht davon, das Ergebnis des sorgfältigen Zähneputzens weiterhin zu kontrollieren. Und bei gelungendem Ergebnis motivierend zu loben.

Sobald das Kind Zahnpasta nicht mehr schlucken würde, können die Zähne auch mit - dem Kindesalter angepasst leicht fluoridierter ­- Zahnpasta geputzt werden.

Vielen Eltern nicht bekannt ist, dass sie durch Sauberlecken eines heruntergefallenen Schnullers oder Vorkosten der Babyflasche oder des Brei-Löffels zahnschädigende Bakterien auf das Kind übertragen - je später aber das Kind mit diesen Bakterien in Berührung kommt, desto besser stehen seine Chancen, dass die Zahnsubstanz gesund bleibt. Ebenfalls nach wie vor in zu vielen Familien unbekannt ist die Ursache der Nuckelflaschenkaries, das ständige Nuckeln von Saft, gesüßten

Getränken oder auch Tee oder Leitungswasser: Das Dauernuckeln ist ein kontinuierlicher Angriff auf die Zahngesundheit, da Zähne zum gesunden Wachsen und Werden ausreichend Ruhe im Biotop Mund benötigen und die Umspülung von nicht verdünntem, Zahnschmelz schützendem Speichel.

IN DEN ERSTEN JAHREN: KIEFERGESUNDHEIT

Für ein dauerhaft funktionsfähiges Gebiss sind nicht nur gesunde Zähne an ihrem vorgesehenen Platz, sondern auch die korrekte Zuordnung der Zähne zueinander und ihre langfristige, stabile Stellung wichtig. Schon beim Kinder im Alter bis zu drei Jahren und damit in der Zeit des Durchbruchs der Zähne des Milchgebisses sollte darauf geachtet werden, dass das physiologisch korrekte Gleichgewicht zwischen Zunge und perioraler Muskulatur eingestellt, geübt und beibehalten wird. Die richtige Position: Die Zähne stehen im Raum zwischen Zunge und Lippen bzw. Mundmuskulatur. Um dies zu erreichen, ist ein korrekter Mundschluss unabdingbar. Dies kann man selbst testen: Ist der Mund entspannt geschlossen, liegt die Zunge dem Gaumen an. Ist er geöffnet, ruht sie am Mundboden. Nur bei korrekter Zungenposition am Gaumen wird die wichtige Nasenatmung geschult und das Wachstum der betroffenen Gesichtspartien kann sich frei entfalten.

Bei physiologischer, das heißt von der Natur vorgesehener Belastung, bei der richtigen Stellung zueinander und bei regelmäßiger prophylaktischer Pflege können Zähne ein Leben lang halten. Eine gesunde, physiologisch korrekt abgestützte Zahnstellung von Anfang verbessert die Prognose für den langfristigen Erhalt der Zähne ganz wesentlich. Dennoch sind lebenslang die Retention bzw. korrigierende „Wartungsarbeiten" nötig und daher regelmäßige Kontrollbesuche in der zahnärztlichen und gegebenenfalls kieferorthopädischen Praxis notwendig.

Die Zähne nehmen zwar im Gesicht eine wichtige Stellung ein, aber sie prägen auch das Gesicht selbst. Daher ist frühzeitige und aufmerksame Kontrolle der Entwicklung so wichtig. In der psychosozialen Interaktion zeigt sich: Mit dem Gesicht schaut man aus der Kleidung heraus. Der Mund ist zentraler Bestandteil nicht nur des Gesichts, sondern auch des ersten Eindrucks. Und wie wir alle wissen: Der erste Eindruck kann nicht wiederholt werden.

Sechs wichtige Forderungen für eine gesunde Entwicklung von Zähnen und Kaufunktion, zusammengestellt von Prof. Dr. Dr. Ralf J. Radlanski/Charité:

  1. Gesunde Ernährung der Schwangeren. Alle Zellen des Fetus müssen störungsfrei leben können.
  2. Gesunde Ernährung des Kindes. Alle Zellen müssen einen gesunden Stoffwechsel aufrechterhalten können.
  3. Mundhöhlenmilieu bakteriell in Balance. Für die Mundgesundheit schädliche Keime werden beim Ablecken von Löffeln oder „Sauberlecken" eines Schnullersvon den Eltern auf das Kind übertragen.
  4. Tägliche Mundhygiene mit den Kindern. Zähneputzen soll verinnerlicht werden. Anfangs müssen Eltern die Zähne gründlich vorputzen, die Kinder putzen danach selbst, je nach ihrem Können und mit wachsendem Alter immer mehr. Wichtig: Die Eltern müssen das erfolgreiche Zähneputzen immer kontrollieren (und loben).
  5. Zeitgerechter Zahndurchbruch und physiologisch korrekte Zahnstellung. Eine Kontrolle des Zahnwechsels ist mit 6 Jahren notwendig, eine Kontrolle der Zuordnung der Kiefer mit 10 Jahren.
  6. Regelmäßige Kontrollbesuche beim Zahnarzt beginnend mit dem ersten Lebensjahr. Auch Erwachsene sollten für „Mundgesundheit ein Leben lang" den Zustand der Zähne selbst und auch ihre Lage zueinander regelmäßig prüfen lassen. Sie sind damit selbst das beste Vorbild für die Kinder.