Statement 11.09.2009

Von Prof. Dr. James Deschner

Gesamter Audio Mitschnitt des Statements:

Sehr geehrte Damen und Herren,

viele wissenschaftliche Untersuchungen der vergangenen Jahre haben gezeigt, dass Erkrankungen der Mundhöhle oft in engem Zusammenhang mit Erkrankungen des gesamten Körpers stehen. Bakterielle Infektionen und Entzündungen der Mundhöhle können den Gesamtorganismus beeinträchtigen, umgekehrt können systemische Erkrankungen die Entstehung von krankhaften Veränderungen in der Mundhöhle fördern. Mit der Aufdeckung der Zusammenhänge bzw. Wechselwirkungen zwischen Erkrankungen der Mundhöhle und des gesamten Körpers ergeben sich neue Möglichkeiten für eine effektivere Krankheitsprävention und -therapie.

Eine folgenschwere und besonders gut untersuchte Erkrankung der Mundhöhle ist die Parodontitis. Neueste Studien haben gezeigt, dass in Deutschland zwischen 4-8 % der Erwachsenen und zwischen 14-22 % der Senioren eine schwere Parodontitis­er­krankung aufweisen. Eine moderate Ausprägung der Parodontitis liegt dagegen bei rund 40 % der Durch­schnittsbevölkerung vor.  Laut der 4. Mund­ge­sund­heits­studie steigt die Häufigkeit von parodontalen Erkrankungen in Deutschland an.

An drei Beispielen sollen die Zusammenhänge von Parodontitis und Allgemeinerkrankungen verdeutlicht werden - zu weiteren durch die Infektion verbundenen Erkrankungen wird derzeit viel geforscht, so dass dieses Thema eher auf dem Weg ist als bereits am Ziel angekommen.

Beispiel 1: Gegenseitige Beeinflussung von Parodontitis und Diabetes mellitus

Was beide Erkrankungen gemeinsam haben: Es handelt sich um chronische Erkrankungen, die oft lange Zeit unerkannt fortschreiten und die Lebensqualität beachtlich einschränken können.

Diabetes mellitus ist eine Störung des Stoffwechsels und vor allem durch hohe Blutzuckerspiegel (Hyperglykämie) gekennzeichnet. Die erhöhten Zuckerspiegel lassen sich auch im Speichel und in den Zahnfleischtaschen bei Diabetikern nachweisen. Unterschieden wird in Typ 1-Diabetes (normgewichtige Kinder, Jugend­liche und junge Erwachsene) und Typ 2-Dia­betes (meist Erwachsene im mit­tleren oder höheren Alter, oft über­gewichtig). Aufgrund der zu­nehmenden Häufigkeit von Übergewichtigkeit und Adipositas (Fettleibigkeit) bei Kin­dern und Jugendlichen tritt der Typ 2-Diabetes immer häufiger auch in diesen Alters­grup­pen auf.

Die hohen Blutzuckerwerte führen bei Diabetikern an kleinen und großen Gefäßen zu krankhaften Veränderungen und dadurch zu verschiedenen Komplikationen. Diabetiker - bei schlechter Blutzucker-Einstellung - haben ein dreifach höheres Risiko für die Entstehung einer Parodontitis, diese wird mittlerweile als typische Komplikation des Diabetes mellitus angesehen. Aber nicht nur die Häufigkeit der Parodontitis ist bei Diabetes erhöht: Diabetiker haben im Vergleich mit Nichtdiabetikern tiefere Zahnfleischtaschen und weniger zahnumgebenden Knochen. Bei Diabetikern schreitet zudem die Parodontitis schneller voran, und die Behandlung einer Parodontitis ist oft weniger erfolgreich.

Gut eingestellte Diabetiker sprechen dagegen genauso gut auf eine Parodontitis­therapie an wie Nichtdiabetiker, die Therapieergebnisse können gleicher­maßen erfolgreich aufrechterhalten werden. 

Zusammenhang A: Einfluss des Diabetes mellitus auf das Parodont

Zahlreiche Mechanismen werden für den negativen Einfluss des Diabetes auf die Entstehung und das Fortschreiten der Parodontitis verantwortlich gemacht: Bei einem schlecht eingestellten Diabetes kann der hohe Blutzuckerspiegel zu einer Veränderung der Proteine im Körper führen, die veränderten Proteine (AGE) lagern sich vermehrt in den Geweben des Körpers, so z.B. auch im Zahnhalteapparat, ab. Da diese Moleküle zumeist entzündungsfördernd sind, wird die durch die Parodontitis hervorgerufene Entzündung im Zahnhalteapparat zusätzlich verstärkt. Als Folge der exzessiven Entzündung kommt es dann zu einem verstärkten Abbau des Zahnhalteapparats, denn die Entzündung unterstützt die Entstehung von gewebeauflösenden Molekülen.

Bei übergewichtigen Diabetikern werden außerdem noch spezielle Moleküle aus dem Fettgewebe (Adipokine) ins Blut freigesetzt, die ebenfalls im Zahnhalteapparat die Entzündung und den Abbau des Zahnhalteapparats fördern. Die verstärkte Bildung und Freisetzung von solchen Molekülen im Fettgewebe könnte auch der Grund dafür sein, dass Patienten mit Übergewichtigkeit und Adipositas ein erhöhtes Risiko für Parodontitis besitzen, selbst wenn sie nicht an einem Typ2-Diabetes leiden.

Zusammenhang B: Einfluss der Parodontitis auf den Diabetes mellitus

Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass durch eine Parodontitistherapie, d.h. die Beseitigung der Infektion und Entzündung in der Mundhöhle, der Blutzuckerspiegel bei einem Diabetes gesenkt werden kann. Obwohl die genauen Krankheitszusammenhänge noch nicht vollständig erforscht sind, nimmt man an, dass bei einer Parodontitis Bakterien und Entzündungsmoleküle aus dem Mund in die Blutgefäße des Zahnhalteapparates gelangen und von dort über das Blut zu anderen Stellen des Körpers transportiert werden. Diese Entzündungsmoleküle können sodann die Wirkung von Insulin, das unter anderem die Aufnahme von Zucker in die Zellen fördert, hemmen. Dadurch verbleiben mehr Zuckermoleküle im Blut, d.h., der Blutzuckerspiegel steigt an. Durch die Therapie einer Parodontitis wird die Infektions- und Entzündungsquelle im Mund reduziert, so dass die Wirkung des Insulins wieder verbessert wird.

Beispiel 2: Parodontitis und kardiovaskuläre Erkrankungen

Parodontitispatienten haben offenkundig ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen (z.B. Herzinfarkt, Schlaganfall und periphere arterielle Ver­schluss­­krank­heit). Grund sind meist verengte bis verschlossene Gefäße. Da die Häufigkeit von Parodontalerkrankungen in der Bevölkerung sehr hoch ist, hat das erhöhte Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen bei parodontalen Infektionen eine große gesundheitsökonomische Bedeutung. Als Ursache für das erhöhte Risiko bei Parodontitis werden wiederum Bakterien und Entzündungsmoleküle, die aus der Mundhöhle ins Blut und damit zum Herzen, Gehirn und in die Beine gelangen, angenommen. Die Bakterien und Entzündungsmoleküle schädigen die Blutgefäßzellen und fördern die Atherosklerose und Blutgerinnung. Erste Studien konnten nachweisen, dass durch die Behandlung einer Parodontitis die Gefäßfunktion, die bei einer Atherosklerose zunehmend eingeschränkt ist, verbessert werden kann. Zukünftige Studien müssen zeigen, ob durch eine Parodontitistherapie auch der Entstehung von Herzinfarkt und Schlaganfall vorgebeugt werden kann.

Beispiel 3: Parodontitis und Geburtsrisiken

Die bakterielle Infektion Parodontitis scheint auch das Risiko für Frühgeburtlichkeit und Untergewichtigkeit bei Schwangerschaft zu beeinflussen. Schwangere Frauen, die an einer Parodontitis erkrankt sind, tragen ein höheres Risiko, ihr Neugeborenes vor der 37. Schwangerschaftswoche und/oder mit einem Geburtsgewicht von weniger als 2500 g zu entbinden. Wie in den Herzkranzgefäßen wurden Parodontitisbakterien auch in der Fruchtblase nachgewiesen. Es ist daher denkbar, dass Bakterien und Entzündungsmoleküle aus der Mundhöhle zu einem vorzeitigen Blasensprung und Wehen oder aber zu einer Wachstumshemmung des Fötus im Mutterleib führen. In mehreren, jedoch nicht allen Studien konnte das Risiko für Frühgeburtlichkeit und Untergewichtigkeit durch eine Parodontitistherapie reduziert werden. Obwohl eine abschließende Aussage noch nicht möglich ist, zeigen diese Untersuchungen, dass eine Parodontitistherapie auch während der Schwangerschaft bis zum 3. Trimenon risikofrei durchgeführt werden kann.

Forderung: Erkrankungen kontrollieren und negative Folgen minimieren

Bakterielle Infektionen in der Mundhöhle können auf den gesamten Organismus einwirken. Durch die Behandlung von Erkrankungen in der Mundhöhle wird nicht nur die Mundgesundheit, sondern die Gesundheit des gesamten Körpers verbessert. Andererseits führen Erkrankungen des Gesamtorganismus auch zu einem erhöhten Risiko für Krankheiten in der Mundhöhle. Wir wissen heute: Orale und systemische Gesundheit hängen stärker zusammen als bisher vermutet. Parodontitis, Diabetes und viele andere Erkrankungen können nicht vollständig ausgeheilt werden. Es ist jedoch möglich, diese Er­kran­kungen erfolgreich zu kontrollieren und negative Fol­gen zu minimieren. Dafür sollten die Patienten betreut, regelmäßig nachuntersucht und gegebenenfalls erneut behandelt werden. Eine erfolgreiche Parodontitis­thera­pie bei Patienten mit Allgemeinerkrankungen erfordert die enge und vertrauensvolle Zu­sammen­arbeit zwischen Zahnarzt, Arzt und Patienten.

Tipps für Zahnärzte und Praxisteam 

  1. Aufklärung der Patienten über die Zusammenhänge zwischen Erkrankungen der Mundhöhle und des gesamten Körpers sowie den Einfluss einer Parodontitisbehandlung auf die Allgemeingesundheit bzw. umgekehrt
  2. Ausführliche und aktuelle Auflistung aller Erkrankungen des Patienten (Anamneseerhebung)
  3. Erfragen des aktuellen Blutzuckerwertes (HbA1c) und des behandelnden Hausarztes bzw. Diabetologen bei Diabetikern
  4. Inter­diszi­plinäre Zusammen­­arbeit zwischen Zahnarzt und Haus- bzw. Facharzt
  5. Parodontitisbehandlung auch bei schwangeren Patientinnen durchführbar

Tipps für Patienten

  1. Zweimal täglich Zähneputzen und einmal täglich Reinigung der Zahnzwischenräume mit speziellen Hilfsmitteln (Zahnseide, Interdentalraumbürstchen)
  2. Zweimal jährlich zur professionellen Zahnreinigung
  3. Mindestens einmal jährlich vom Zahnarzt untersuchen lassen
  4. Bei Parodontitis: Behandlung und regelmäßige Nachkontrollen
  5. Bewusste Ernährung und Vermeidung von Übergewichtigkeit
  6. Bei Rauchern: Nikotinentwöhnung
  7. Information des Zahnarztes über das Vorliegen eines Diabetes mellitus und anderer systemischer Erkrankungen, die Einnahme von Medikamenten sowie die aktuelle Blutzuckereinstellung
  8. Information des Haus- und Facharztes über das Vorliegen von bakteriellen Infektionen und Entzündungen im Mundbereich
  9. Sicherstellung einer guten Blutzuckereinstellung und deren regelmäßige Überprüfung bei Diabetes mellitus

Kontakt:

Prof. Dr. James Deschner 
Poliklinik für Parodontologie, Zahnerhaltung und Präventive Zahnheilkunde 
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Tel.: (0228) 287-22650,-22480, james.deschner@remove.this.uni-bonn.de