Statement 11.09.2009

Von Dr. Dietmar Oesterreich

Gesamter Audio Mitschnitt des Statements:

Sehr geehrte Damen und Herren, 

beginnen möchte ich meine Ausführungen mit einem Zitat aus der aktuellen Publikation des Robert-Koch-Instituts zur Mundgesundheit: „Mundgesundheit bezieht sich nicht nur allein auf die Zähne, sondern steht in enger Beziehung zur gesamtkörperlichen Gesundheit und zum Wohlbefinden." Mit dieser Feststellung wird der wesentliche Kern unseres diesjährigen Mottos zum Tag der Zahngesundheit „Gesund beginnt im Mund - krank sein oftmals auch" von unabhängiger Stelle klar umrissen. Nachvollziehbar und in der Vergangenheit prägend war, dass zahnmedizinische Erkrankungen in erster Linie mit dem Zahnschmerz und seinen Auswirkungen auf die körperliche Konstitution verbunden wurde. Sicherlich ein nicht zu unterschätzendes Phänomen, aber im Rahmen einer modernen Zahnheilkunde heute durchaus ein immer selteneres Ereignis. 

In seinen Ursache-Wirkung-Beziehungen zwischen der Zahnmedizin und Medizin können verschiedene Ebenen unterschieden werden. So besitzen allgemein medizinische Erkrankungen mittelbare und unmittelbare Auswirkungen auf die Mundgesundheit, zeigen in der Mundhöhle Symptome bzw. lösen zahnmedizinische Erkrankungen aus oder verstärken diese. Andererseits haben wiederum zahnmedizinische Erkrankungen die gleiche Auswirkung auf allgemeinmedizinische Erkrankungen im Hinblick auf Symptome, Auslösung oder Verstärkung. Als drittes ist festzustellen, dass allgemeinmedizinische Erkrankungen bei der Prävention und Behandlung zahnmedizinischer Erkrankungen besondere Beachtung bzw. Vorkehrungen erfordern. 

Weltweite Studien und Forschungsergebnisse zeigen vermehrt auf, dass es zunehmende Zusammenhänge zwischen Munderkrankungen und Herzkreislauferkrankungen, dem Diabetes mellitus, rheumatoiden Erkrankungen, chronischen Atemswegserkrankungen, Magen- und Darmerkrankungen sowie Erkrankungen des Halte- und Stützapparates gibt. Darüber hinaus können Munderkrankungen auch das Risiko für Komplikationen während der Schwangerschaft erhöhen. Neben der Karies spielen dabei die entzündlichen Erkrankungen des Zahnhalteapparates (Parodontitis) und die Funktionsstörungen des Kiefergelenks (cranio-mandibuläre Dysfunktion-CMD) eine besondere Rolle. Längst nicht bei allen statistischen Auffälligkeiten dieser Erkrankung sind die ursächlichen Zusammenhänge eindeutig geklärt. So werden darüber hinaus gemeinsame Risikofaktoren sowie in letzter Zeit zunehmend auch genetische Determinanten diskutiert. 

Grundsätzlich ist festzustellen, dass hinsichtlich der Ursache und Entstehung zahnmedizinischer Erkrankungen diese keinerlei Sonderrolle im Vergleich zu schweren Allgemeinerkrankungen einnehmen. Beste Erklärung hierfür liefert die Risikofaktorenmedizin. So fällt im Vergleich der Entstehung von Karies oder Parodontitis zu coronaren Herzerkrankungen auf, dass es im Hinblick auf Verhaltensrisiken, wie Rauchen, Stress oder Ernährung, ähnliche Ursachenkomplexe gibt. Die sog. „Ungleichheitsforschung" zeigt wiederum in ihren Ergebnissen, dass auch die sozialen Umfeldbedingungen, wie niedriges Einkommen und einfache Schulbildung, sowohl bei allgemeinmedizinischen Erkrankungen als auch bei zahnmedizinischen Erkrankungen zu einer sog. Polarisation des Erkrankungsrisikos führt. Dies bedeutet, dass Menschen in sozial schwierigen Lebenslagen ein stark erhöhtes Erkrankungsrisiko besitzen und sie an Gesundheitsgewinnen nur wesentlich langsamer als die Allgemeinbevölkerung partizipieren. Aus diesen Ergebnissen lässt sich feststellen, dass zahnmedizinische Erkrankungen in ihren Ursachen und ihrer Entstehung im Gegensatz zu früheren Auffassungen keinerlei Sonderrolle einnehmen. Wir können also auch auf Grund der internationalen Literaturergebnisse feststellen, dass der Zusammenhang zwischen Mundgesundheit und Allgemeingesundheit feststeht und die Zahnmedizin einen integralen Bestandteil des medizinischen Fächerkanons darstellt. 

Besondere Herausforderungen ergeben sich dadurch, dass durch den demographischen Wandel der Gesellschaft die Patientengruppe der Senioren zukünftig deutlich zunimmt. Wir wissen, dass Alter und zunehmendes Erkrankungsrisiko, also Multimorbidität, deutlich korrelieren. Somit ist zukünftig in jeder Zahnarztpraxis damit zu rechnen, dass die Anzahl älterer Patienten mit allgemeinmedizinischen Erkrankungen deutlich zunimmt. Ferner verzeichnen wir auf Grund der vorliegenden sozialepidemiologischen Ergebnisse der IV. Deutschen Mundgesundheitsstudie (DMS IV) durch das Institut Deutscher Zahnärzte in Köln (IDZ) einen erfreulicherweise deutlich zunehmenden Zahnerhalt bei Erwachsenen und Senioren. Paradoxerweise geht dieser zunehmende Zahnerhalt aber auch damit einher, dass insbesondere die schweren Formen der entzündlichen Erkrankungen des Zahnhalteapparates (Parodontitis) und die Wurzelkaries deutlich zunehmen. Dieser als Ergebnis der Kompression der Morbidität, also der zunehmenden Verlagerung der Krankheitslast in das Alter als Ergebnis präventiver und zahnerhaltender Bemühungen beschriebene Vorgang erhöht somit gleichzeitig das Erkrankungsrisiko für allgemeinmedizinische Erkrankungen.

Durchschnittlich leiden in Deutschland 15 Prozent der erwachsenen Bevölkerung an einer schweren und 50 Prozent an einer moderaten Form der Parodontitis. Die Erkrankung verläuft aus der Sicht des Patienten oft lange ohne Symptome, wie z. B. Schmerzen. Deswegen sind auch die Einsicht zur Behandlung und das Wissen um diese Erkrankung und die vorbeugenden Möglichkeiten nur unzureichend ausgeprägt. Da die Parodontitis eine chronische Erkrankung ist, erfordert sie eine lebensbegleitende Vorsorge, was an den Patienten hohe Anforderungen stellt. Zusätzlich haben sich zwar die diagnostischen Möglichkeiten zur Erkennung der Erkrankung im Rahmen der GKV verbessert, aber die Therapie und insbesondere die Nachbehandlung bedarf einer Anpassung an die wissenschaftliche Entwicklung. Somit ergibt sich auch hier entsprechender Handlungsbedarf.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

die vorgelegten Erkenntnisse führen natürlicherweise auch zu Schlussfolgerungen, die sowohl den Berufsstand, die breite Öffentlichkeit, die beteiligten Berufsgruppen und Partner als auch die Gesundheitspolitik unmittelbar berühren. So will ich bewusst an den Anfang die Schlussfolgerung für den Berufsstand stellen. Dabei ist zu fordern, dass die medizinische Kompetenz des gesamten zahnärztlichen Behandlungsteams zukünftig erhöht werden muss. Dies betrifft natürlicherweise an allererster Stelle die Ausbildung. Ein seit längerer Zeit bei der Gesundheitspolitik vorliegender Entwurf zur Novellierung der Approbationsordnung, welcher die medizinischen Aspekte in der Ausbildung der zahnmedizinischen Studenten deutlich verstärkt, bedarf der dringenden Umsetzung. Hier liegt die Verantwortung bei der Gesundheitspolitik des Bundes und vor allen Dingen der Länder. Andererseits haben die Zahnärztekammern, bedingt durch ihre gesetzliche Verpflichtung zur Qualitätssicherung und Gestaltung der Aus- und Fortbildung der Zahnärzte und zahnmedizinischen Fachangestellten, die Verpflichtung, die medizinische Fortbildung und damit die Aufklärungsarbeit zu verstärken.

Hinlänglich bekannt ist, dass die zahnmedizinische Prävention deutliche Erfolge verzeichnet. Trotzdem gilt es, insbesondere durch bevölkerungsweite Aufklärungskampagnen, insbesondere zu den parodontalen Erkrankungen, die Sensibilität dieser für die Allgemeingesundheit bedeutsamen Erkrankungen zu erhöhen. Dabei bedarf es aus unserer Sicht auch des verstärkten Engagements entsprechender bundesweiter Institutionen. Zwangsläufig gilt es, zahnmedizinische Präventionsschwerpunkte, wie beispielsweise zur Ernährung und zur Minderung des Rauchens, mit allgemeinen gesundheitsfördernden Botschaften zu vernetzen, was wiederum bedingt, dass sich andere medizinische Berufsgruppen, aber auch gesundheitspolitische Entscheidungsträger dieser Vernetzungsbestrebung öffnen. Als ein gutes Beispiel will ich in diesem Zusammenhang die Diabetes Messe, die jährlich in Münster stattfindet, benennen. Darüber hinaus gibt es bereits zahlreiche wissenschaftlich abgesicherte Aktivitäten der Zahnärzteschaft, wie die gemeinsamen Patienteninformationen der DGZMK und der BZÄK sowie die Materialien zum Monat der Mundgesundheit gemeinsam von Colgate und der BZÄK, die für die individuelle als auch bevölkerungsweite Aufklärung zur Verfügung stehen.

Wir wissen, dass die Inanspruchnahme zahnmedizinischer Dienstleistungen in außerordentlich hohem Maße kontrollorientiert erfolgt. Zusätzlich ist der Zahnarzt neben dem Hausarzt die Arztgruppe, die über die meisten Patientenkontakte verfügt. Hieraus ergibt sich einerseits die Verstärkung der Möglichkeit der individuellen Aufklärung auch im Zusammenhang mit Präventionsangeboten, aber auch zukünftig verstärkt die Chance zum Screening im Hinblick auf bedeutsame medizinische Erkrankungen.

Erfreulicherweise darf ich von dieser Stelle feststellen, dass es zunehmend zu gemeinsamen Forschungsprojekten von Medizin und Zahnmedizin kommt. Dies halte ich nicht nur im Hinblick auf die zu gewinnenden Erkenntnisse über die Zusammenhänge, sondern auch im Hinblick auf eine verstärkte Interdisziplinarität der Berufsgruppen für wichtig. Es wird also zukünftig auch verstärkt die Aufgabe der Ärztekammern sein, durch Fortbildung die wissenschaftlichen Erkenntnisse mit ihrem Bezug zur Zahnmedizin zu vermitteln und zur verstärkten interdisziplinären Sicht im Versorgungsalltag aufzurufen.

Trotz der erfreulichen Ansätze in der Forschungsszene muss festgestellt werden, dass der Forschungsbedarf insbesondere im Hinblick auf Versorgungsforschungsansätze, also mit dem Blick auf die einzelne Arzt- und Zahnarztpraxis, zukünftig deutlich verstärkt werden muss. Dabei gilt es insbesondere zu klären, welche diagnostischen Parameter eine Behandlung sowie entsprechende Nachbehandlung unter Berücksichtigung des derzeitigen Erkenntnisstandes auslösen. Auch die Bundeszahnärztekammer hat mit den wissenschaftlichen Beiträgen des gemeinsam mit der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung getragenen Instituts Deutscher Zahnärzte insbesondere im Hinblick auf die sozialepidemiologische Forschung und das bevölkerungsrelevante Wissen zur Parodontitis wichtige Beiträge geliefert. Durch die Gründung eines wissenschaftlichen Beirates und die Schwerpunktsetzung im Rahmen der Tätigkeit der Bundeszahnärztekammer sollen weitere Impulse erfolgen.

Festzustellen und auch für die Zukunft zu fordern ist, dass die zahnmedizinische Versorgung einen wesentlichen Bestandteil der medizinischen Grundversorgung der Bevölkerung darstellt. Vor dem Hintergrund der dargestellten Zusammenhänge zur Medizin ist zukünftig auch im ländlichen Raum für eine flächendeckende Versorgung zu sorgen. Hier bedarf es der Intelligenz der Selbstverwaltung, aber auch kommunaler Kräfte, positive Steuerungselemente einzusetzen.

Letztendlich ergibt sich vor dem Hintergrund der wachsenden Bedeutung der Zahnmedizin für die allgemeine Gesundheit der Bevölkerung, dass auch die Diskussion über die Allokation von Mitteln dieser folgen muss. Wenn auch vor einer Bundestagswahl keinerlei Diskussion über eine angestoßene Priorisierungsdebatte im Gesundheitswesen geführt werden soll, so ergibt sich aus den begrenzten Ressourcen zukünftig allein diese Debatte. Einer Ausgliederungsdiskussion der Zahnmedizin ausschließlich in die auch finanzielle Eigenverantwortung des Patienten kann diesen Erkenntnissen nicht gerecht werden. Deswegen gilt es die Versorgung der an Parodontitis erkrankten Patienten an den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand im Rahmen der GKV anzupassen und entsprechende Finanzierungslösungen wie beispielsweise Festzuschüsse zu diskutieren, um die Vor- und insbesondere die Nachbehandlung zu berücksichtigen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

lassen Sie mich den heutigen Tag wiederum dafür nutzen, allen Beteiligten, insbesondere in der zahnmedizinischen Prävention, für ihr Engagement und für ihren Einsatz sehr herzlich zu danken. Auch aus meiner Erfahrung als alternierender Vorsitzender der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Jugendzahnpflege darf ich konstatieren, dass trotz manchmal vorhandener divergierender Interessenlagen zwischen den beteiligten Partnern ein effektives Zusammenwirken mit gemeinsamer Zielsetzung sehr erfolgreich stattfinden kann. Dieses möchte ich an dieser Stelle betonen, denn ich denke, dass wir mit unseren gemeinsamen Anliegen für viele medizinische Bereiche auch ein erfolgreiches Beispiel liefern konnten. 

Für Rückfragen:

Dr. Sebastian Ziller, Bundeszahnärztekammer
Tel.: 030 / 40005-125
E-Mail: s.ziller@remove.this.bzaek.de

Das Statement sowie die wissenschaftlich abgesicherten Patienteninformationen finden Sie auf der Homepage der Bundeszahnärztekammer unter: