Statement 12.09.2008
Von Dr. Dietmar Oesterreich Vizepräsident der Bundesärztekammer, Präsident der Zahnärztekammer Mecklenburg-Vorpommern
Gesamter Audio Mitschnitt des Statements:
Die zentrale Auftaktpressekonferenz Freitag, den 12. September 2008 in Berlin zum Tag der Zahngesundheit (TdZ) am 25. September 2008
Motto: „Gesund beginnt im Mund – aber bitte mit Spucke!“
Sehr geehrte Damen und Herren,
Spucke – igitt – , mögen viel denken. Die erste Assoziation, welche die meisten Menschen mit Speichel verbinden, ist ein Ekelgefühl. Wer mag sich schon mit Speichel beschäftigen? Zahnärzte durch ihren Beruf notwendigerweise. Aber es gibt noch eine ganze Reihe weiterer Spezialisten, die sich mit dem Speicheldrüsensekret auseinandersetzen. Spucke wird unterschätzt: Die Flüssigkeit aus der Mundhöhle verrät bspw. viel darüber, wie es uns geht. Spätestens, wenn einem buchstäblich die „Spucke weg bleibt“, denkt man über die Bedeutung des Speichels nach.
Deshalb möchte das diesjährige Motto des Tages der Zahngesundheit „Gesund beginnt im Mund – aber bitte mit Spucke“, das gesellschaftliche Tabu, welches Körpersekreten allgemein und dem Speichel insbesondere anhaftet, helfen aufzubrechen. Wir wollen ein Schlaglicht auf die wichtigsten Aufgaben, den Nutzen und die Wichtigkeit des Speichels für unsere Gesundheit aus zahnmedizinischer und medizinischer Sicht werfen.
Ein normaler Speichelfluss, ca. einen Liter produzieren unsere Speicheldrüsen täglich, ist immens wichtig für solch gewöhnlichen Dinge wie Sprechen, Schlucken und die tägliche Nahrungsaufnahme. Durch Gerüche, Geschmacksreize und Kaubewegungen über Nervensignale angekurbelt, durchfeuchtet die Spucke die Nahrung, wirkt als Gleitmittel beim Schlucken, reinigt den Mundraum und die Zähne, enthält eine Vielzahl von Inhaltsstoffen zur Abpufferung von Säuren sowie zur Reminalisierung des Zahnschmelzes und kann Bakterien, Viren und Pilze abwehren. Der Speichel besteht zu 99 Prozent aus Wasser. Doch richtig interessant sind die Bestandteile des einen Prozents: Die wichtige schützende Wirkung des Speichels auf Mundhöhle und Zähne, beruht zum einen auf einem dünnen Eiweißfilm, der sogenannten Pellikelschicht, der die oralen Hart- und Weichgewebsoberflächen überzieht. Dieser schleimige Eiweißfilm (Muzine), der die Gleitwirkung des Speichels bewirkt, hält auch die Schleimhäute feucht und schützt sie vor Verletzungen. Für die Zahnerhaltung ist aber auf der anderen Seite ebenso wichtig, dass durch den Speichel ein hoher Gehalt an Kalzium und Phosphaten zur Verfügung steht, die zur Remineralisierung der Oberflächen des Zahnschmelzes von entscheidender Bedeutung ist. Bekanntermaßen produzieren Kariesbakterien nach dem Essen zahnschädigende Säuren, wodurch der pH-Wert in der Mundhöhle sinkt. Diese Säuren entziehen dem Zahnschmelz Mineralien. Speichel neutralisiert die Säuren und ermöglicht somit einen raschen Wiedereinbau der Mineralstoffe. Gleichzeitig verdünnt Speichel auch hohe Zuckerkonzentrationen, die dem Zahnschmelz nach Genuss eines Schokoriegels gefährlich werden könnten. Und dass die geballte Säure, die etwa durch einen knackigen Apfel in den Mund gerät, keine bleibenden Schäden hinterlässt, ist Puffersubstanzen geschuldet, die säurehaltige Lebensmittel neutralisieren. Darüber hinaus trägt die Amylase, ein Enzym, das bereits im Mund die Verdauung von Speisestärke einleitet, zur Selbstreinigung der Mundhöhle, vor allem der Zahnzwischenräume, als eine Art „biologische Zahnbürste“ bei.
Der Mund ist für so vieles eine Eintrittspforte in den menschlichen Körper, dass einem wirksamen Abwehrsystem an dieser Eintrittsstelle eine bedeutende Wächterfunktion zukommt. Krankheitserreger sollen sich nicht ansiedeln, sondern möglichst frühzeitig erkannt und ausgeschaltet werden. Deshalb besitzt der Speichel eine Reihe unterschiedlicher Abwehrmittel: Antikörper, Eiweißstoffe oder Lactoferrin. Viele der Schleimschichtproteine im Mundraum (Muzine), deren Struktur von Mensch zu Mensch unterschiedlich ist, dienen der Abwehrfunktion gegen mikrobielle Noxen oder sind wichtig für die schnelle Wundheilung in der Mundhöhle. Sie bieten erwünschten Bakterien Anheftungsstellen, um sich in der Mundhöhle anzusiedeln. Anderen Bakterien, Viren oder Pilzen, die nicht mit den Schleimstoffen reagieren, wird die Aufnahme in die „Wohngemeinschaft des Mundes“ verwehrt, sie werden mit dem Speichel weggespült. Etwa 500 verschiedene Bakterienarten besiedeln die Mundhöhle und verdrängen allein durch ihre Anwesenheit oder Stoffwechselaktivität unerwünschte Besucher.
Doch bei einem - erkrankungs- oder medikamentenbedingten - verminderten Speichelfluss, bei unzureichender Mundhygiene oder bei einer unausgewogenen Ernährung kann das Gleichgewicht des schützenden Mundmilieus langfristig so gestört werden, so dass sich Karies- und Parodontitisbakterien oder auch Hefepilze vermehrt entwickeln.
Wenn die Spucke uns auf Dauer wegbleibt, fällt erst auf, wie wichtig sie ist. Ein trockener Mund, den viele sonst nur von Stresssituationen her kennen, wird dann zur Belastung. Das Essen wird zur Qual, die Lippen kleben aufeinander, reißen auf und das Sprechen bereitet Schwierigkeiten. Mindestens vier Prozent der Bevölkerung leiden unter Mundtrockenheit (Xerostomie).Als Ursachen für Mundtrockenheit kommen z. B. Rauchen und Stress aber auch Nebenwirkungen von Medikamenten, nach Bestrahlung bei einer Tumorerkrankung im Kopf-Halsbereich oder als Begleiterscheinung von Krankheiten wie Diabetes mellitus, multipler Sklerose oder rheumatischen Erkrankungen in Frage. Betroffen sind auch Menschen, die am sogenannten Sjögren-Syndrom, einer Autoimmunerkrankung, leiden, weil ihr körpereigenes Abwehrsystem die Zellen der Speicheldrüsen zerstört. Bei Nebenwirkungen von Medikamenten sind insbesondere solche gegen Bluthochdruck sowie Schmerzmittel, Antibiotika oder Psychopharmaka zu nennen. Bei etwa 30% der über 65-jährigen liegt eine dauerhafte Verminderung des Speichelflusses vor. Risse in Lippen sowie Mundschleimhaut und ein trockner Mund stellen eine große Herausforderung für die Zahnmedizin dar. Betroffene müssen beispielsweise ihr Essverhalten ändern: Nahrungsmittel, etwa bestimmte Früchte, dürfen nicht gegessen werden, weil die Säure zu sehr an der wunden Schleimhaut im Mund brennt. Die Mundschleimhaut muss regelmäßig künstlich befeuchtet werden. Am schlimmsten betroffen sind die Menschen, deren Speicheldrüsen geschädigt wurden, weil sie wegen eines Tumors im Kopf- oder Halsbereich bestrahlt werden mussten. Sie sind zu ganz intensiver Mundhygiene angehalten, damit es nicht zur sogenannten "Strahlenkaries" kommt, einer raschen Zerstörung der Zahnsubstanz. Diese Patienten müssen wir trotz ihrer schwerwiegenden Erkrankung dazu motivieren, die Zähne regelmäßig sehr gut zu putzen und zusätzlich ein Fluoridgel sowie ein Speichelersatzmittel zu verwenden. Diese Flüssigkeit kann mehrmals am Tag in den Mund gesprüht oder als Gel ähnlich einer Feuchtigkeitscreme auf die trockene Mundschleimhaut aufgetragen werden. Produkte dieser Art gibt es seit 35 Jahren, aber auch heute noch sind sie nur Hilfsstoffe und kein Ersatz für echte Spucke. Bei älteren Patienten ist eine regelmäßige und ausreichende Flüssigkeitszufuhr von hoher Bedeutung.
Die Zukunft liegt für Zahnärzte und Ärzte vor allem in der Nutzung des Speichels für die Diagnostik allgemeinmedizinischer Erkrankungen aber natürlich auch in der für den Zahnarzt so wichtigen Früherkennung eines Karies- oder Parodontitisrisikos. Die Spucke hat einen ganz entscheidenden Vorteil – sie kann im Gegensatz zu Blut sehr einfach und vor allem nicht-invasiv gewonnen werden. Zwar steht diese Art von Speicheldiagnostik noch am Anfang und in der Zahnmedizin ist es bislang noch nicht gelungen, den häufig postulierten Zusammenhang zwischen der Speichelzusammensetzung eines Menschen und seiner Karies- oder Parodontitisanfälligkeit nachzuweisen.
Derzeit wird in der Allgemeinmedizin Speichel bereits zur Diagnostik von Stoffwechselerkrankungen oder zur Messung von Hormon und Medikamentenspiegeln genutzt. Aber bei der Verbrecherjagd mittels Speichelprobe und Genanalyse ist man schon viel weiter. Denn in der Kriminalistik wird der Speichel bei der Spurensuche und der Identifizierung von Tätern seit Jahren erfolgreich eingesetzt. Auch in der Sportmedizin hat die Speichelanalyse einen festen Platz und führt für Sportfans zu teilweise ernüchternden Resultaten. Besonders spannend wird es beim Einsatz von Speichelanalytik in der Anthropologie, wo es darum geht, unsere Verwandtschaftsbeziehungen zu unseren Vorfahren zu erforschen. Wissenschaftler arbeiten derzeit weltweit intensiv daran, dass es zukünftig möglich sein könnte, chronische oder akute Erkrankungen von Herz, Leber und Niere frühzeitig mit Hilfe des Speichels aufzudecken, denn wenn es einem Menschen nicht gut geht, verändert sich dementsprechend das typische Eiweißprofil des Speichels. Auch konnten Forscher bereits beim frühzeitigen Aufspüren von Krebserkrankungen erste interessante Fortschritte erreichen, so z. B. bei der Früherkennung von Brustkrebs mit Hilfe des Speichels. Besonders für die Zahnmedizin von Bedeutung ist, dass sich in der Speichelflüssigkeit bei Mundhöhlenkrebspatienten drei verschiedene Tumorantigene nachweisen ließen, außerdem waren die Mengen einiger Proteine und Mineralstoffe deutlich verändert im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen. Es könnte sein, dass die Krebsdiagnostik beim Zahnarztbesuch zukünftig Alltag werden und der Patient zur Vorsorge eine Speichelprobe abgeben könnte.
Wir sehen also, dass ein ausreichender Speichelfluss von großer Bedeutung für die Mund und Allgemeingesundheit ist. Präventiv darf man feststellen, dass es wichtig ist genügend Flüssigkeit dem Körper zu zuführen. Kräftiges Kauen und damit kauaktive Nahrung fördert den Speichelfluss. Eine gute Versorgung mit Zahnersatz ist somit ebenso eine wichtige Voraussetzung für die notwendige Speichelstimulation bei der Nahrungsaufnahme. Darüber hinaus ist der Einsatz von zuckerfreien Kaugummis sinnvoll und insbesondere nach der Nahrungsaufnahme zu empfehlen.
Dieser kurze Ausflug in die facettenreiche Bedeutung des Speichels möchte ich mit einem Zitat eines Wissenschaftlers Professor Stefan Ruhl von der Universität Regensburg abschließen, der vor zwei Jahren zutreffend bemerkte: „An Prophylaxe interessierte Zahnärzte sollten Speichel als eine zu ihrem Fachgebiet gehörende Flüssigkeit adoptieren. Speichel ist vermutlich der wichtigste Zahnerhalter!“ Der heutige Tag ist auch eine willkommene Gelegenheit im Namen der Bundeszahnärztekammer dem engagierten Praxispersonal, den niedergelassenen Zahnärzten, den Landes- und regionalen Arbeitsgemeinschaften für Jugendzahnpflege, den Krankenkassen, den Zahnärzten des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, den Lehrern und Erziehern sowie allen weiteren Partnern, die seit Jahren "vor Ort" an der Umsetzung einer präventionsorientierten Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde arbeiten, ein herzliches Dankeschön für die geleistete Arbeit zu sagen. Ohne die großartige Unterstützung dieser vielen Partner im Bereich Mundgesundheit wären die bisher erreichten Erfolge insbesondere in der Kariesprävention nicht möglich!