Statement

Von Dr. Dietmar Oesterreich Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer, Präsident der Zahnärztekammer Mecklenburg-Vorpommern

Sehr geehrte Damen und Herren,

das diesjährige Motto des Tages der Zahngesundheit „Gesund beginnt im Mund - auch unsere Zähne leben länger" fasst die wichtigsten Ziele und Aufgaben der modernen Zahnheilkunde perfekt zusammen. 

Unser wichtigstes Ziel: 

Wir wollen die präventiven Erfolge bei den Kindern über die Pubertätsphase und das junge Erwachsenen- bis in das Seniorenalter fortführen und damit für eine Verbesserung der Mundgesundheit sowie Erhöhung der Le­bensqualität sorgen.

Unsere wichtigste Aufgabe: 

Die demografische Entwicklung berührt auch die Zahnmedizin in vielfältiger Weise. Hier stellen sich viele Herausforderungen an uns Zahnärzte, auf die wir uns intensiv vorbereiten, für deren erfolgreiche Bewältigung wir aber auch Zusammenarbeit mit anderen Bereichen brauchen. 

Lassen Sie mich, weil diese Punkte für die Zahnmedizin heute so wichtig sind, dies noch etwas ausführen: 

Die Prävention ist die umfassende Grundlage des zahnmedizinischen  Handelns. Die Zahnheilkunde hat  in der Vergangenheit einen deutlichen Wandel vollzo­gen: weg von der Spät- und Defektversorgung hin zu einer präventiven, minimalinvasiven Ausrichtung. Im Mittelpunkt stehen die lebenslange Begleitung, Motivation und Förderung des mundgesundheitsförderlichen Verhaltens der Menschen sowie eine präventionsorientierte, alters- und ursachengerechte sowie zahnsubstanzschonende Behandlung. Auch in Zeiten zunehmender Kostendiskussion im Gesundheitswesen erhält eine moderne, prophylaxeorientierte Zahnheilkunde eine immer größere Bedeutung im öffentlichen Fokus.

Der demographische Wandel in unserer Gesellschaft ist auch für die Zahnmedizin eine große und vielschichtige Aufgabenstellung. Die Zunahme der älteren Bevölkerung erfordert entsprechende Behandlungs- und Betreuungskonzepte für die verschiedenen Phasen des Alters. 

Die Prävention ist auch in dieser Lebensphase unser wichtigstes Anliegen.

Insgesamt verzeichnen wir schon heute großartige Erfolge in der zahnmedizinischen Prävention in Deutschland. Damit haben wir eine Vorbildfunktion für das gesamte deutsche Gesundheitswesen. Das zeigen unter anderem die Resultate der Vierten Deutschen Mundgesundheitsstudie (DMS IV)[i]. Die wesentlichen Ergebnisse dieser aktuellen Bestandsaufnahme in Sachen Zahn- und Mundgesundheit für Deutschland lassen sich in wenigen Sätzen kaum aufzeigen, zu vielfältig sind die erhobenen Variablen und deren Verknüpfungen mit den sozialstrukturellen und ver­haltensbezogenen Aspekten, die erhobenen wurden. 

Lassen sie mich deshalb einige "Kernbotschaften" auch im Hinblick auf unser heutiges Anliegen zum Tag der Zahngesundheit herausgreifen, wir wollen zeigen, was wir zum Thema „Zahngesundheit ein Leben lang", also in den verschiedenen Alters- und Bevölkerungsgruppen bisher erreicht haben und wo wir künftig noch mehr tun müssen - allein oder mit Partnern, um die Herausforderung „auch unsere Zähne leben länger" auch erfolgreich bewältigen zu können. Natürlich sind hier auch die Patienten gefordert, denn ohne deren persönlichen Einsatz für ihre eigene Mundgesundheit geht es natürlich nicht - aber Sie werden sehen: Manchmal braucht es für dieses Engagement auch hilfreiche Rahmenbedingungen, die heute ganz sicher einer Optimierung bedürfen.

1. Die Zahngesundheit der Kinder hat sich in Deutschland entschieden verbessert, im internationalen Vergleich liegen wir ganz oben im Ranking. 

Aber ein niedriger sozialer Status ist, wie in der Medizin auch, mit höheren Erkrankungsraten - über alle Altersgruppen, auch bei Senioren - assoziiert.

Um die Erfolge bei den Kindern und Jugendlichen langfristig zu erhalten, ist es wichtig, die Prophylaxeaktivitäten zu verstetigen.

Die Ursache für die Unterschiede in der Mundgesundheit sieht man in der sozialen Schichtung - je niedriger der soziale Status, desto schlechter der Mundgesundheitszustand. Eine geringe Bildung, ein geringes Einkommen, ein niedriges Sozialprestige sowie die Zugehörigkeit zu bestimmten ethnischen Gruppen sind Aspekte, die einen geringen sozioökonomischen Status bedingen. Es handelt sich hier um ein gesamt­gesellschaftliches Problem, das allein durch die stärkere Verzahnung von Gruppen- und Individualprophylaxe und damit allein durch die Zahnärzte nicht zu lösen ist. Sozial benachteiligte Menschen bedürfen einer verstärkt sozialkompensatorisch präventiven  ärztlichen und zahnärztlichen Betreuung. Niedrigschwellige Versorgungs- und Präventionsangebote sind notwendig. Erfolgreiche Lösungen sind aus Sicht der Bundeszahnärztekammer nur durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit aller Beteiligten möglich. Hierzu zählen die Zahnärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes, die niedergelassenen Zahnärzte mit ihren Berufsorganisationen, die gesetzlichen Krankenkassen, die Landesarbeitsgemeinschaften für Jugendzahnpflege, die Kinderärzte, Hausärzte, Internisten, Physiotherapeuten, Pflegekräften, Erziehungseinrichtungen, Alters- und Pflegeeinrichtungen, Pädagogen, Sozialpsychologen sowie der Staat und die Einrichtungen der öffentlichen Hand. Es ist letztendlich eine Querschnittsaufgabe aller Politikfelder und bedarf vor dem Hintergrund der älter werdenden Bevölkerung einer erweiterten Sichtweise.

2. Zahnverluste bei den Erwachsenen und den Senioren sind deutlich rückläufig, immer mehr Menschen verfügen bis ins hohe Alter über immer mehr eigene Zähne. Dieser erfreuliche Umstand hat aber zur Folge, dass schwere Zahnbett-, d. h. Parodontalerkrankungen, aber auch die Wurzelkaries bei Erwachsenen und Senioren in Deutschland stark zunehmen.

Zudem zeigen sich auch Zusammenhänge zwischen allgemeinmedizinischen Erkrankungen und Parodontitis. Verhaltensabhängige Faktoren oder genetische Ursachen kommen hinzu. Verwiesen sei hier auf den Zusammenhang zwischen Übergewicht und Parodontitis, oder auf die Entwicklung eines Diabetes, der wiederum Zahnbetterkrankungen und Wurzelkaries begünstigen kann. Auch das Rauchen ist ein wichtiger Faktor bei der Entstehung einer Parodontitis. Um präventive Potentiale zu heben, muss eine bevölkerungsweite Aufklärung über Ursachen und Symptome einer Parodontalerkrankung erfolgen, eine Aufgabe, der sich die Bundeszahnärztekammer und die Wissenschaft in wachsendem Maße stellen. Zu einer erfolgreichen Gesunderhaltung des Zahnbettes gehört nicht zuletzt ein regelmäßiges Recall und parodontales Screening. Eine stärkere interdisziplinäre Zusammenarbeit mit der Medizin ist ebenfalls wichtig.

Da gerade bei Parodontalerkrankungen der Heilungsprozess und die Vorbeugung einer erneuten Entzündung entscheidend von der Mitarbeit (Compliance) des Patienten abhängen, ist die Motivation des Patienten zu einem eigenverantwortlichen Verhalten, die Anleitung zu einer effektiven Zahn- und Mundhygiene zu Hause und die regelmäßige weitere Betreuung durch das zahnärztliche Team besonders wichtig. Prophylaxeorientierte Praxiskonzepte gewinnen daher gerade im Hinblick auf die Zunahme von Parodontalerkrankungen eine immer größere Bedeutung.

3. Die Versorgung mit Zahnersatz bewegt sich nach Art und Umfang auf einem  qualitativ hohen Niveau - und immer häufiger wird dabei festsitzender Ersatz eingesetzt.

Nicht alle Zähne können erhalten werden - auch für diese Fälle brauchen wir ausgefeilte Lösungen, die präventiv ausgerichtet sind, heißt: fortschreitende Schäden insbesondere am Zahnbett verhindern. In den letzten Jahren hat sich die Qualität von Zahnersatz enorm vielfältig verbessert - von einfach und gut bis zu erstklassiger moderner Keramik, von leicht zu handhabbaren herausnehmbaren Versorgungen bis zu festsitzenden Lösungen entspricht die Palette nahezu allen medizinischen Indikationen und Patientenanforderungen. Bemerkenswert rasch haben sich festsitzende Lösungen etabliert, die vielen Patienten das Leben mit Zahnersatz erleichtern. Dieser Trend bedeutet eindeutig einen optimierten Tragekomfort, bessere Kaufähigkeit, nicht zuletzt auch eine verbesserte Ästhetik für den Patienten und unter psychosozialen Kriterien eine Förderung der Lebensqualität, des Selbstvertrauens und der Kommunikationsfähigkeit. Gleichzeitig wird damit aber auch deutlich, dass mit der Zunahme der natürlichen Zähne umfangreiche Zahnersatzmaßnahmen im Alter nicht entfallen werden, sondern weiter Bestandteil eines präventiv orientierten Behandlungskonzeptes bleiben.

Diese Tatsache fordert gesellschaftliche und sozialpolitische Entscheidungen, wie viel hochwertige Zahnheilkunde im Sinne von „mehr Lebensqualität schaffen" dem Einzelnen in Deutschland in Zukunft ermöglicht wird. 

Fazit

Dank erfolgreicher Prävention und präventionsorientierter zahnärztlicher Versorgung hat sich die Mundgesundheit der Deutschen generell deutlich verbessert. Mit dem zunehmenden Zahnerhalt ist andererseits auch eine Zunahme von Parodontalerkrankungen und Wurzelkaries bei Erwachsenen und Senioren verbunden. Gleichzeitig verzeichnen wir eine Schieflage in der Erkrankungsverteilung über alle Altersgruppen hinweg. Dies macht deutlich, dass der Ausbau vorsorgeorientierter Betreuungskonzepte auch zukünftig dringend notwendig ist. 

Zum Tag der Zahngesundheit 2007, der mit seinem Motto auf die Auswirkungen der demografischen Entwicklung auf die Mundgesundheit der Deutschen hinweist, wird deutlich: Zahngesundheit steht nicht allein im Raum und ist nicht allein in den Zahnarztpraxen und durch das sorgfältige Zähneputzen zuhause zu erreichen: Zahngesundheit ist auch eingebunden in die Allgemeingesundheit, den Alltag und die Lebensverhältnisse der Menschen und nicht zuletzt in die Rahmenbedingungen, die Gesellschaft und Politik gestalten. Wenn wir alle mit vielleicht hundert Lebensjahren noch viele gesunde eigene Zähne haben wollen, ist einiges zu tun.

Ich möchte deshalb hier kurz einige der wichtigsten Strategien aufzeigen, die wir für notwendig erachten:

Strategien

Neben der zahnmedizinischen Betreuung sollte die Information, Aufklärung und konkrete Anleitung zur individuellen Verhaltensänderung integraler Bestandteil aller zahnärztlichen Präventionsbemühungen sein. Dabei sei jedoch darauf hingewiesen, dass gerade für die Lebensphase des Alters kein schablonenhaftes Übernehmen von Präventionskonzepten des Kinder- und Jugendbereiches möglich ist, sondern diese  immer zielgruppengerecht und die individuelle Lebenssituation berücksichtigend angepasst werden müssen.  

Auf Grund des Sozialschichtgradienten, der einen Zusammenhang zwischen Armut und geringerer (Mund)Gesundheit zeigt, ist jedoch auch nachdrücklich darauf hinzuweisen, dass präventive Maßnahmen auch die gesellschaftlichen und sozialen Verhältnisse tangieren müssen (Verhältnisprävention). Hier sei vor allem auf die Bereiche Arbeit und Bildung verwiesen, die im Wesentlichen den sozioökonomischen Status eines Menschen beeinflussen. 

Die Kommunen ziehen sich seit Jahren finanziell aus dem Öffentlichen Gesundheitsdienst zurück, der eine wichtige Rolle für die gruppenprophylaktische Betreuung gerade von Kindern mit erhöhtem Kariesrisiko hat. Wir dürfen deshalb staatliche Stellen nicht aus ihrer Verantwortung entlassen! Auch an die Krankenkassen geht an dieser Stelle die Bitte, die so wichtigen Budgets für die erfolgreichen prophylaktische Bemühungen nicht zu kürzen.

Ebenfalls von gesellschaftlicher Relevanz sind die Aspekte einer ausgewogenen und mundgesunden Ernährung und risikoarmer Lebensstile, die zukünftig in Kooperation mit den entsprechenden Partnern (Ministerien, Kommunen, Medizin, Deutsche Gesellschaft für Ernährung, Drogenbeauftragte, Medien etc.) verstärkt öffentlichkeitswirksam vermittelt werden müssen (Gesundheitserziehung). 

Aber auch für die Zahnärzteschaft und ihre berufspolitischen sowie wissenschaftlichen Organisationen ergeben sich zahlreiche Aufgabestellungen. Die spezifischen Aspekte der Alterszahnheilkunde gewinnen an Bedeutung. So gilt es die medizinische und soziale Kompetenz zu erhöhen und altersadäquate Betreuungsangebote in den Praxen zu etablieren. Darüber hinaus sind Kompetenzangebote und Betreuungsstrategien für die Alters- und Pflegeeinrichtungen zu entwickeln. Gemeinsam mit der Wissenschaft gilt es im Rahmen der Versorgungsforschung das vorhandene Versorgungssystem im Hinblick auf die demographischen Veränderungen zu evaluieren. Im Rahmen der wissenschaftlichen Forschung sind verstärkt medizinisch biologische Aspekte aufzugreifen und die medizinische Ursachenforschung zahnmedizinischer Erkrankungen (Risikofaktorenmedizin) zu verstärken. 

Auf dieser Basis ist eine enge  Vernetzung der Aufklärungsaktivitäten von  Zahnmedizin und Medizin anzustreben.

Die Entscheidungen der Bundesregierung zum Wettbewerbsstärkungsgesetz lassen jedoch eine zukunftsweisende Entscheidung zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung vermissen. Ganz klar: Allein mit dem Mehr an staatlicher Regulierung ist die demographische Entwicklung nicht zu lösen! 

Deswegen haben auch wir unsere Zweifel an einer dauerhaft gesicherten Entwicklung für die Prävention, zumal durch die älter werdende Bevölkerung zahlreichen präventive Potentiale noch weiter erschlossen werden müssen.  

Die Entscheidung für ein Mehr an Prävention und ein Mehr an Mundgesundheit ist somit immer auch eine gesundheitspolitische Grundsatzentscheidung im Hinblick auf die demographischen Veränderungen in unserer Gesellschaft. 

"Gesund beginnt im Mund - auch unsere Zähne leben länger": Mit diesem Slogan soll den Patienten und der Gesellschaft, der Politik, den Ärzten und den Zahnärzten deutlich werden, dass profunde, nachhaltige Prophylaxe mit Blick auf die älter werdende Bevölkerung wichtiger denn je wird. Es ist eine Gemeinschaftsaufgabe, Zahngesundheit - mit allen positiven Folgen für die Allgemeingesundheit - bis ins hohe Lebensalter zu ermöglichen. Wir hoffen, dass dieser Tag der Zahngesundheit dafür ein Bewusstsein schaffen wird.

Der heutige Tag ist auch eine willkommene Gelegenheit im Namen der Bundeszahnärztekammer dem engagierten Praxispersonal, den niedergelassenen Zahnärzten, den Landes- und regionalen Arbeitsgemeinschaften für Jugendzahnpflege, den Krankenkassen, den Zahnärzten des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, den Lehrern und Erziehern sowie allen weiteren Partnern, die seit Jahren "vor Ort" an der Umsetzung einer präventionsorientierten Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde arbeiten, ein herzliches Dankeschön für die geleistete Arbeit zu sagen. Ohne die großartige Unterstützung dieser vielen Partner im Bereich Mundgesundheit wären die bisher erreichten Erfolge insbesondere in der Kariesprävention nicht möglich!

Für Rückfragen:

Dr. Sebastian Ziller, Bundeszahnärztekammer
Tel.: 030 / 40005-125
s.ziller@remove.this.bzaek.de

(Das Statement finden Sie - wie die anderen Beiträge zur zentralen Pressekonferenz anl. Tag der Zahngesundheit 2007 - auf  www.bzaek.de sowie unter www.tag-der-zahngesundheit.de)