Statement

Von Prof. Dr. Elmar Reich Biberach

Statement Prof. Dr. Elmar Reich Biberach

Hippe Zähne sind schön und gesund

„Wir Zahnärzte machen seit Jahren Prophylaxe, also Vorbeugung von Karies und Parodontalerkrankungen", sagte Prof. Dr. Elmar Reich, Biberach, bei der zentralen Pressekonferenz am 8. September 2006 in Dortmund aus Anlaß des Tages der Zahngesundheit 2006. „Der starke Rückgang der Karies bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland zeigt, dass wir hier auf dem richtigen Weg sind. Allerdings sehen wir auch, dass gerade die Jugendlichen mehr Unterstützung brauchen, ihre erreichte Zahngesundheit auch zu erhalten - in diesem Alter sind sie in der Regel allein dafür verantwortlich und über die notwendigen Maßnahmen keineswegs ausreichend informiert. Zudem verschiebt die Entwicklungsphase rund um die Pubertät einige Wertigkeiten im Alltag der jungen Menschen - auch dies müssen wir Zahnärzte, in Zusammenarbeit mit unseren Partnern rund um die Mundgesundheit von Kindern und Jugendlichen,  im Auge behalten, aufgreifen und öffentlicher machen als bisher. Der diesjährige Tag der Zahngesundheit mit seinem Motto „Gesund beginnt im Mund - Hip Hop für die Zähne" ist hier ein wichtiger Schritt."

Jugendliche haben „erwachsene Zähne"

Professor Reich erinnerte daran, dass Jugendliche ab dem 12. Lebensjahr ein „Erwachsenengebiss" haben: „Die bleibenden Zähne stehen alle in Reih und Glied, sie haben in der Regel einen engen Kontakt mit den Nachbarzähnen und somit auch sehr kleine „Zahnzwischenräume". Aus ihrer Kinderzeit kennen die Jugendlichen die Mundpflege mit der Zahnbürste - sie reicht jetzt aber nicht mehr aus.  In diese engen Zahnzwischenräume reichen die Zahnbürstenborsten nicht hinein, mit der Folge, dass sich Nahrungsreste und bakterielle Zahnbeläge hier gut geschützt festsetzen und den Zahn und sein Gewebe schädigen können. Da vielfach bei den jungen Leuten nicht bekannt ist, dass hier zusätzliche Maßnahmen ergriffen werden müssen, nimmt die Karies in diesen Zahnzwischenräumen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen sehr stark zu: In Deutschland steigt die Interdentalkaries, wie diese Zahnschädigung im Fachjargon heißt, im Alter von 12 auf 15 Jahre um das 3 bis 5 fache an."

Viele Aufgabenfelder für die Prophylaxe

Die Zunahme von Interdentalkaries bei Jugendlichen zeigt, so Professor Reich, viele Aufgabenfelder für die Zahnärzte - aber auch für die Jugendlichen selbst und ihre Familien:

1. Notwendige zusätzliche Hygienetechnik

Die Zahnzwischenraumkaries bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist viel schwerer zu verhindern als die Karies auf den Kauflächen, die zuhause durch die Reinigung mit der Zahnbürste und in der Zahnarztpraxis z.B. durch Kunststoffversiegelungen weitgehend vermieden werden kann. Zusätzlich zur Zahnbürste müssen hier unbedingt Zahnseide oder spezielle Zahnhölzchen verwendet werden, denn Versiegelungen für diese Flächen sind technisch nicht möglich. Außerdem sollten sich die Jugendlichen bei ihrem Zahnarzt erkundigen, welche individuelle Vorsorgemaßnahmen außerdem empfohlen werden, um Karies - besonders in den Zahnzwischenräumen - wirksam zu verhindern.

2. Geänderte Ernährungsgewohnheiten

Nicht selten bringt die persönliche Entwicklung in der Jugend auch ein verändertes Ernährungsverhalten mit sich: Zucker- und säurehaltiges Fast Food, süße und saure Snacks verdrängen die gesunde Mischkost. Das bleibt nicht ohne Folgen für die Zähne.

Bekannte Auslöser von Karies und „braunen Zähnen" sind:

a) Zucker und süße Zwischenmahlzeiten - wobei vielen jungen Leuten gar nicht bewusst ist, dass auch Ketchup und Senf, vor allem aber Cola und gesüßte Getränke enorm hohe Dosen an Zucker enthalten

b)  Säuren - auch hier ist wenig bekannt, dass sie Zahnschäden auslösen können: Säuren lösen Kristalle aus der Zahnoberfläche, dem Schmelz, heraus, dieser wird porös und bietet bakteriellen Belägen dadurch mehr Halt, so schreitet die Zahnzerstörung voran.

Folgen sind nicht nur Zahnschmerzen, sondern auch bräunliche Verfärbungen und in der Folge Füllungen, die nicht „normal" sind, sondern letztlich eine Reparaturmaßnahme aufgrund eines Schadens. Wirklich schöne Zähne dagegen sind naturgesund, wobei Zahnärzte heute in der Lage sind auch schöne Füllungen herzustellen. Es gibt nicht wenige Zwanzigjährige, die nicht eine einzige Füllung oder eine einzige Schädigung an ihren Zähnen haben, und diese sind nicht etwa Wunderkinder, sondern solche aus Familien, in denen Wert auf Mundhygiene gelegt wird und die früh gelernt haben, dass sie mit wenig Aufwand viel erreichen können. Tatsache ist aber, dass rund 20 % der Kinder rund 80 % aller Zahnkaries haben - das sind in vielen Fällen Kinder aus sozial benachteiligten Familien, diesen müssen wir Zahnärzte uns ganz besonders widmen.

3. Neue Interessen

Die Gruppen- und Individualprophylaxe bei Kindern funktioniert in Deutschland gut, bestätigte Professor Reich, schlechter sei es um die Jugendlichen, die Teens, bestellt: „Wie erreicht man diese Gruppe? Die sich entfaltenden neuen Interessen sind keineswegs nur „Störfelder" für die üblichen Präventionsangebote der Zahnärzte, sondern sie eröffnen neue, die wir nur mehr nutzen, genauer: einbeziehen müssen als früher. Hier gibt es erste erfolgreiche Ansätze, die ausgebaut werden müssen. Wenn aus Kindern Jugendliche werden, werden die Peers, die Freunde und Rollenmodelle, wichtiger als Eltern und Lehrer. Und auch als Zahnärzte - könnte man meinen, aber dem ist nicht wirklich so: Zähne sind in manchen jugendlichen Kulturkreisen geradezu ein Statussymbol, und es gibt junge Mädchen und auch junge Männer, die sich mit den Fachbezeichnungen für die Weißheit eines Zahnes (A1, B2 etc) besser auskennen als mit den Grundrechenarten in der Schule. Der Trend zu weißen Zähnen und Zähnebleichen geht zu unserer großen Freude zurück - wir müssen aber aufpassen, dass dabei nicht auch das Interesse an schönen und gesunden = attraktiven Zähnen zurückgeht. Nur wenn wir die Jugendlichen bei ihren Interessen unterstützen und ihnen unseren Rat und/oder fachliche Hilfe anbieten, können wir sie auch in ein regelmäßiges Prophylaxesystem in unseren Praxen integrieren und frühzeitig intervenieren, wenn sich erste Schädigungen zeigen. Wir appellieren daher dringend an die Jugendlichen, ihre Freunde, ihre Cliquen und - wo die Kontakte gut sind - auch an ihre Familien, die angebotenen regelmäßigen Kontrolluntersuchungen wahrzunehmen und sich bei uns in den Praxen beraten zu lassen, von uns selbst oder unseren jungen Prophylaxeteams. Da kann man auch persönliche Fragen stellen, zu weißen Zähnen, zu Folgen von Piercings, zu Problemen mit Rauchen und Zahnbelägen, zu Schokoheißhungerattacken und was man tun kann, um ev. unschön stehende oder unattraktive Zahnformen mit wenig Aufwand zu verändern. Die moderne Zahnheilkunde hat eine immense Vielfalt an Möglichkeiten, die den meisten Menschen, schon gar den Jugendlichen naturgemäß nicht bekannt ist. Sofern medizinisch vertretbar, gibt es deshalb in den Zahnarztpraxen auch Tipps für kleine Seelenlöcher, wenn man wegen eines dunklen Zahnes oder einer abgebrochenen Ecke nicht mehr laut lachen oder überhaupt seine Zähne zeigen mag. Viele Jugendliche knirschen auch nachts mit den Zähnen, um Stress abzubauen - und zerschleifen dabei ihre Kauflächen. Gerade die Prophylaxeassistentinnen in unseren Praxen sind gut trainiert, die wichtigen Zusammenhänge auch von Seele und (Mund)Gesundheit zu erkennen und den Jugendlichen hier Unterstützung zukommen zu lassen."

„Was wir nicht wollen und auch nicht unterstützen," machte Professor Reich deutlich, „sind Dentaltrends, welche die schönen naturgesunden jungen Erwachsenenzähne zerstören, ein Beispiel: In den USA pflegen Jugendliche und ihre Rollenmodelle, die Sänger und Show-Stars, einen neuen Kultgegenstand, die sogenannten „Grills". Der Hip-Hop-Star Nelly rappte auf seinem letzten Nummer-eins-Hit, «Grillz»: „Ich stecke mein Geld da rein, wo mein Mund ist. Dreißig Riesen unten, dreißig weitere Riesen oben." Die sogenannten Grills, goldene und/oder diamantene Zahnüberzüge, haben die «Bling-Bling»-Kultur des amerikanischen Hip-Hop um einen Kultgegenstand bereichert,  sie sind für die Jugendlichen des Ghettos jedoch mehr als nur Schmuckstücke. Ähnlich wie mit dem Bodybuilding, Piercing-Ringen und Tattoos handelt es sich dabei um Modetrends, die einst aus der Unterschicht kamen und lange als Domäne von Zuhältern, Schaustellern, Matrosen galten. Es sei im Süden Tradition, sich Goldzähne machen zu lassen, wird der Rapper Juvenile zitiert: „Vater, Onkel, Opa: Sie haben alle eine Goldspange im Mund. Wenn dein Leben schon beschissen ist, dann möchtest du eben wenigstens ein bisschen Glamour zur Schau tragen"..."

Das sei hier in Deutschland noch nicht angekommen und liege nicht nur außerhalb der Krankenkassenversorgung, sondern stehe auch diametral der erfolgreichen präventionsorientierten Zahnheilkunde der deutschen Zahnärzteschaft entgegen.

„Wenn wir bei alledem genau hinschauen und auch hinhören, sehen wir Handlungsfelder für uns Zahnärzte,", sagte Professor Reich, „die unsere jugendlichen Patienten bei ihrem Weg in die Erwachsenenwelt begleiten können - wir haben viel zu bieten, dieses aber nicht genug bekannt gemacht. Das muss  sich ändern, damit mehr junge Leute eine Chance für anhaltende Zahngesundheit bekommen. Viele Umfragen bestätigen, dass wir gerade eine Schlüsselposition haben für die Entwicklungsphase, in der das „Ankommen" beim anderen Geschlecht eine enorme Rolle im Alltag der Jugendlichen spielt. Auf die Frage, was sie „abtörnt", stehen Aspekte wie

  • hässtliche Zähne und
  • Mundgeruch

auf den vordersten Stellen, und wir vermuten sicher zurecht, dass auch Zahnschmerzen hier zu den unliebsamen Positionen zählen."

Vielleicht brauche die Zahnmedizin mehr positive „Werbung" für schöne und gesunde, wie Perlen schimmernd saubere Zähne: „Sie sind - das ist der eine Teil des Mottos dieses Tages der Zahngesundheit - „hip". Der andere - „hop" - zeigt, dass dies nicht ohne Aufwand und Mühe zu haben ist. Aufwand macht dies zuhause mit regelmäßiger Mundhygiene - auch in den Zahnzwischenräumen -, aber auch bei uns  Zahnärzten die Prophylaxe in der Schule, zusammen mit den Jugendlichen, und auch bei uns in der Praxis, als individualisierte Prophylaxe. Nur so können wir versuchen, auch sozioökonomische Faktoren und Bildungsunterschiede der Eltern auszugleichen."

Jugendliche seien heute nicht mehr nur die „Null-Bock-Generation", sondern hätten positive Ziele und Motivation. Dies könne man auch für die Zahngesundheit nutzen, wie es in Modellen, z.B. der LAG Berlin gezeigt werde.

Prof. Dr. Elmar Reich: „Deutschland hat schon "Superstars" gefunden, nach welchen Kriterien auch immer. Unsere sind einfacher und haben ein ziemlich garantiertes individuelles Erfolgserlebnis für jeden Einzelnen: Saubere, gepflegte Zähne und ein fröhliches Lachen toppt jeden Trend und jeden Superstar - und das sogar oft ein Leben lang."