Statement 25.09.15

Von Prof. Dr. Dietmar Oesterreich, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer

Gesamter Audio Mitschnitt des Statements:

Prof. Dr. Dietmar Österreich, Bildquelle: Dohlus

Sehr geehrte Damen und Herren,

Früher war alles besser? Ganz klar: nein!

Blicken wir auf die Entwicklung der Mundgesundheit der letzten 25 Jahre, sehen wir eine deutliche Verbesserung über alle Bevölkerungsgruppen hinweg. Deutschland zeigt einen deutlichen Rückgang bei der Karies – vor allem bei Kindern und Jugendlichen. Aber auch bei den Erwachsenen und im Alter gibt es einen klaren Trend zum Zahnerhalt. In den 80er Jahren hatten zum Beispiel Zwölfjährige im Durchschnitt fast 7 kariöse Zähne (DMFT 6,8). Bereits 2005 war es nicht mal mehr ein von Karies befallener Zahn, sondern durchschnittlich fanden sich nur noch 0,7 Zähne mit Karieserfahrung. Das ist ein kolossaler Rückgang von über 80 Prozent in 20 Jahren! Dies ist nur ein Beispiel.

Als Bilanz nach 25 Jahren können wir zeigen: Die Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde hat mit ihrer Neuausrichtung hin zu Prävention einen Meilenstein gesetzt. Die zahnmedizinische Prävention ist beispielgebend und eine Benchmark im Gesundheitswesen.

Vor 25 Jahren waren Gesundheitssystem und zahnmedizinische Versorgung vornehmlich auf Reparatur ausgerichtet. Die Vermeidung von Zahnschäden hatte noch keinen größeren Stellenwert. Prävention fand in den zahnärztlichen Praxen nur vereinzelt statt und die Fortbildung der zahnmedizinischen Mitarbeiterinnen im Bereich der Prophylaxe war wenig etabliert. Auch die bevölkerungsweite Aufklärung zur Prävention war kaum entwickelt. Ebenfalls standen gruppenprophylaktische Maßnahmen noch ganz am Beginn. Deutschland war zu diesem Zeitpunkt sozusagen ein Entwicklungsland im Bereich der zahnmedizinischen Prävention. Erst Ende der 1980er Jahre fand der Paradigmenwechsel statt: Weg von der kurativen und überwiegend auf Reparatur ausgerichteten Zahnheilkunde hin zu einer präventionsorientierten Sichtweise.

Bis zu diesem Zeitpunkt war Deutschland im internationalen Vergleich nur Mittelmaß. Es fehlten Anreize für Prävention im Versorgungssystem. Die Zahnärzteschaft initiierte erste Mundgesundheitsstudien um zu messen, wie es um die Mundgesundheit denn - wissenschaftlich belegt - bestellt sei. Bundeszahnärztekammer und Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung beauftragten das Institut der Deutschen Zahnärzte (IDZ), die erste deutsche Mundgesundheitsstudie, DMS I (1991), zu erheben. Gleichzeitig wurde die Mundgesundheit in Kindereinrichtungen untersucht. Das Fazit war deutlich: Es bestand ein erheblicher Handlungsbedarf. Bei den gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen. Und bei der Ausrichtung der zahnmedizinischen Versorgung. Im kommenden Jahr werden die Ergebnisse der nun bereits V. Mundgesundheitsstudie vorliegen. Der Berufsstand stellt seine Leistungen damit immer wieder auf den Prüfstand.

Grabenkämpfe leiteten die Präventionsorientierung ein.

Heute nicht mehr vorstellbar, wenn man diese positive Bilanz sieht. Dennoch wurde damals diskutiert: Was ist wichtiger, Henne oder Ei? Gruppen- oder Individualprophylaxe? Das Richtige setzte sich durch. Der Gesetzgeber reagierte mit der Einführung der §§ 21 und 22 im Rahmen des SGB V. Damit wurde die Prävention in beiden Ebenen fest verankert. Gleichzeitig gründeten Teilnehmer aus 25 Organisationen unter Beteiligung der Zahnärzteschaft und Krankenkassen 1990 den „Aktionskreis Tag der Zahngesundheit". Ziel war es, die Bedeutung der Zahngesundheit und die Möglichkeiten der Prävention in das kollektive Bewusstsein zu bringen. Ein jährlicher Aktionstag für mehr Mundgesundheit sollte die neue Präventionsstrategie bevölkerungsweit fördern. Besonders möchte ich an dieser Stelle den Initiatoren danken. Heute leider nicht bei uns ist Friedrich Römer, ohne den der TdZ nicht zu dem geworden wäre, was er heute ist. Ihm und allen anderen Wegbereitern möchte ich ganz herzlich danken.

1991 zeigte der Tag der Zahngesundheit das erste Mal: Gesund beginnt im Mund.
Er stellte die Vorsorge, die Verhütung von Zahn-, Mund- und Kiefererkrankungen sowie die Aufklärung und Förderung von Eigenverantwortung in den Mittelpunkt. Er bot die außerordentliche Chance, die breite Öffentlichkeit über Mundgesundheit und Prävention aufzuklären. Deutschlandweit sollte gezeigt werde: Ergreift die Initiative für Eure Zahn- und Mundgesundheit, beugt vor!

Als Bilanz nach 25 Jahren können wir zeigen: Die Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde hat mit ihrer Neuausrichtung einen Meilenstein gesetzt. Die Präventionsstrategien sind nicht nur auf hohem wissenschaftlichen Niveau, sondern haben sich als richtig und sehr effektiv erwiesen.Die zahnmedizinische Prävention ist beispielgebend und eine Benchmark im Gesundheitswesen. Die Mundgesundheit der deutschen Bevölkerung hat sich deutlich verbessert. Wie eingangs erwähnt ist unser Versorgungsniveau sehr hoch, erst recht im internationalen Vergleich. Die kontinuierliche Aufklärung half, die Bedeutung der Oral Health Selfcare in der breiten Bevölkerung zu etablieren.

Gut ist nicht gut genug, es bleiben trotz aller Erfolge weiterhin Herausforderungen für uns. Z.B. ist bei Pflegebedürftigen, Hochbetagten und Menschen mit Behinderung die Mundgesundheit deutlich schlechter als beim Bevölkerungsdurchschnitt. Mit Blick auf den demografischen Wandel kommen hier große Aufgaben auf uns zu. Die Zahnärzteschaft hat längst reagiert und eigeninitiativ konzeptionelle Überlegungen zur Lösung dieser Probleme unterbreitet. Die Gesundheitspolitik hat mit ersten gesetzlichen Maßnahmen reagiert, die Krankenkassen entsprechende Leistungsinhalte mit den Zahnärzten vereinbart.

Aber auch am Anfang des Lebensbogens gibt es Verbesserungsbedarf. Frühkindliche Karies ist entgegen dem allgemeinen Kariesrückgang sogar ein wachsendes Problem. Dabei gilt sie als die häufigste chronisch degenerative Erkrankung in dieser Lebensphase. Auch hier liegt ein Konzept der Zahnärzteschaft bereits vor. Die Gesundheitspolitik hat im Rahmen des Präventionsgesetzes erste Schritte eingeleitet. Es gilt nun, mit der konsequenten Etablierung der zahnärztlichen Früherkennung zwischen dem 6. und 30. Lebensmonat eine Vernetzung mit den sehr erfolgreichen ärztlichen Kinderuntersuchungen herzustellen. Einzelne Initiativen weisen darauf hin, dass auch die Krankenkassen den Handlungsbedarf erkannt haben.

Perspektivisch gesehen reißen die Aufgaben nicht ab.
So bleibt die weit verbreitete aber zu wenig bevölkerungsweit bekannte Parodontitis eine Herausforderung für die Zukunft. Auch hier bedarf es der Verbesserung der Prävention, insbesondere, diese Erkrankung als Bedrohung für die eigene Mundgesundheit zu erkennen und eigene Handlungskonsequenzen abzuleiten. Die Bundeszahnärztekammer arbeitet bereits an einem solchen Konzept. Die Bedeutung der Mundgesundheit für die Allgemeingesundheit ist durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse zunehmend in den Focus gerückt und bedarf für die Zukunft einer deutlichen Beachtung. Die Zahnmedizin muss also zu einem echten integralen Bestandteil des medizinischen Fächerkanons werden – gerade unter der Zunahme chronischer Allgemeinerkrankungen wie z.B. dem Diabetes. Dabei bietet die Zahnmedizin – 75 Prozent der Bevölkerung sind regelmäßig beim Zahnarzt – über ihr Fachgebiet hinaus ein hohes präventives und gesundheitsförderliches Potential im Kontakt mit dem Patienten. Zudem sind wir unter den aktuellen politischen Entwicklungen an ganz anderen Ansatzstellen gefragt: Deutschland als Zuwanderungsland hat sich selbstverständlich auch der zahnmedizinischen Versorgung von Flüchtlingen und Asylbewerbern anzunehmen.

Wie in allen medizinischen Fachbereichen sind auch in der Zahnmedizin Menschen in sozial schwierigen Lebenslagen und mit niedriger Schulbildung besonders häufig von Erkrankungen betroffen. Die Herstellung gesundheitlicher Chancengleichheit ist damit nicht nur eine zahnmedizinische Herausforderung, sondern eine Querschnittsaufgabe zahlreicher Politikfelder. Generell – und das zeigen uns die Erfolge ebenso – müssen die Bedeutung der Prävention und das eigene Engagement immer wieder wach gehalten werden. Aus verschiedenen Studien wissen wir, dass es wieder zu einem Anstieg der Erkrankungen kommt, wenn Prävention und Eigenengagement nachlassen. Der „Tag der Zahngesundheit“ wird sowohl vor dem Hintergrund der Herausforderungen aber auch der notwendigen Kontinuität der Prävention für die Zukunft weiterhin eine hohe Bedeutung besitzen.

Gemeinsam Geschichte geschrieben haben wir mit diesem einmaligen Zusammenschluss, der so verschiedene Stakeholder zu so einer erfreulichen Bilanz brachte. Ohne die hervorragende Zusammenarbeit dieser vielen Partner und gegenseitige Verstärkung der Botschaften wären die bisher erreichten Erfolge im Bereich der Mundgesundheit nicht möglich geworden.

Im Namen der Bundeszahnärztekammer möchte ich ein herzliches Dankeschön für die geleistete Arbeit aussprechen: Natürlich allen Beteiligten und Aktiven, aber insbesondere den Landes- und regionalen Arbeitsgemeinschaften für Jugendzahnpflege, den Krankenkassen, den Zahnärzten des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, den Lehrern und Erziehern und natürlich den niedergelassenen Zahnärzten und ihrem engagierten Praxispersonal!


Für Rückfragen: Dr. Sebastian Ziller, Telefon: +49 30 40005-160, E-Mail: s.ziller@bzaek.de