Statement 13.09.2013

Von Herrn Dr. Pantelis Petrakakis,
1. Vorsitzender des Bundesverband
der Zahnärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes

Gesamter Audio Mitschnitt des Statements:

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Ergebnisse epidemiologischer Untersuchungen machen deutlich, wie wichtig die frühe und regelmäßige Zahngesundheitsförderung im Alltag unserer Kinder ist.

Auf Grundlage der Daten ist ersichtlich, dass trotz der Erfolge der Kariesprophylaxe, insbesondere in der Altersgruppe der 12-Jährigen, das Mundgesundheitsziel der Bundeszahnärztekammer (BZÄK) für das Jahr 2020 von 80% Kariesfreiheit im Milchgebiss bei 6- bis 7-jährigen Kindern noch lange nicht erreicht ist. Auch zeigt sich, dass bislang nicht alle Kinder von den Präventionserfolgen gleichmäßig profitieren konnten. So ist eine deutliche Verschiebung der Krankheitslast auf Kinder und Jugendliche aus sozial schwachen Bevölkerungsschichten festzustellen. 

Gründe für diese Entwicklungen gibt es sowohl in den vorschulischen Lebensjahren der Kinder, von denen die Bundeszahnärztekammer bereits einige schlaglichtartig aufgeführt hat, als auch in der Schulzeit, die in diesem Beitrag im besonderen Blickpunkt steht. Mit dem Eintritt in die Grundschule beginnt in der Regel die Phase des Zahnwechsels, in welcher die Kinder ihre Milchzähne verlieren und ihre bleibenden Zähne bekommen. Die neuen Zähne sollten idealerweise bis ins hohe Alter gesund und funktionsfähig bleiben und die orale Lebensqualität erhalten. Die Schulzeit legt damit nicht nur den Grundstein für die Bildung unserer Kinder, sondern sie kann auch die Grundlage für eine lebenslange Mundgesundheit schaffen.

Diese Thematik wird mit dem diesjährigen Tag der Zahngesundheit in den Blickpunkt gestellt. Das Motto des Jahres 2013 „Gesund beginnt im Mund – Zähneputzen macht Schule“ besitzt höchste Aktualität. Es bringt in treffender Weise zum Ausdruck, welche wichtige Funktion die Schule neben dem Elternhaus sowohl als Bildungseinrichtung als auch als Ort der Förderung sowie Erhaltung der Kindergesundheit und Kinderzahngesundheit hat. 

Einkommen und Bildung sind die entscheidenden Faktoren sozialer Ungleichheit, welche sich negativ auf das allgemeine Gesundheitsverhalten und besonders auf die Zahngesundheit in bestimmten Schichten auswirken. Daher stellt der Lebensraum (Setting) Schule eine wichtige Schnittstelle zwischen Gesundheit und Bildung dar. 

Für den  Bundesverband der Zahnärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes e. V. (BZÖG) ist eine soziale Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde handlungsleitend. Wir arbeiten mit den Schulen unter gesundheitsfördernden und präventiven Gesichtspunkten seit vielen Jahren eng zusammen und sind mit den Beteiligten auf vielen Ebenen verbunden. 

Die Mitglieder unseres Bundesverbandes sind in den Zahnärztlichen Diensten der kommunalen Gesundheitsämter tätig. In Zusammenarbeit mit den regionalen Arbeitskreisen Zahngesundheit erfüllen sie, neben den zahnärztlichen Vorsorgeuntersuchungen und der Fachaufsicht über die Gruppenprophylaxe, hoheitliche Aufgaben zur zahnmedizinischen Prävention und Gesundheitsförderung bei Kindern und Jugendlichen in Kindertagesstätten und Schulen. Unter diesen Rahmenbedingungen bieten sich gute Möglichkeiten, Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher sowie Eltern fachlich zu beraten. Gleichzeitig werden Kinder in Kindertagesstätten und Schulen bei der Entwicklung ihres Gesundheits- und Hygienebewusstseins aktiv angeleitet und gestärkt. 

Studien zeigen: Zähneputzen in Gruppen fördert die Zahngesundheit

Wie wichtig die Verstetigung einer praktischen Unterstützung durch die Zahnärztlichen Dienste und die Arbeitskreise Zahngesundheit für das Kindeswohl ist, zeigen unsere täglichen Erfahrungen. Der positive Einfluss gesunder Milch- und bleibender Zähne auf die sprachliche und kognitive Entwicklung, die schulische Leistung von Kindern sowie deren gesamtgesundheitliche Lage wird in bestimmten Bevölkerungsschichten häufig unterschätzt. Dass Zahngesundheit mit einfachen Mitteln gefördert werden kann, ist wenig bekannt. 

Generell gehen Kindertagesstätten in Bezug auf das tägliche Zähneputzen mit gutem Beispiel für die Schulen voran. Dort sind räumliche und konzeptionelle Strukturen für eine aktive Mundhygiene häufig vorhanden und das Zähneputzen wird durch die Erzieherinnen aktiv unterstützt. An Schulen hingegen stellen Zahnputzmöglichkeiten eher die Ausnahme dar und sind meist auf die Initiative einzelner engagierter Lehrerinnen, Lehrer oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Schule zurückzuführen. 

Dieses Engagement wird durch den BZÖG und die Zahnärztlichen Dienste aus gutem Grund unterstützt. Erhebungen aus kommunalen Zahnärztlichen Diensten bestätigen, dass das Zähneputzen in Kindertageseinrichtungen langfristig zu positiven Effekten auf die Entwicklung der Zahngesundheit führt. So haben Kinder im Grundschulalter, welche im Kindergarten täglich die Zähne putzten, gegenüber Kindern, die in der Einrichtung nicht putzen konnten, signifikant gesündere bleibende Zähne. 

Eine ganze Reihe anerkannter klinischer Studien belegt, dass sich auch das regelmäßige Zähneputzen mit fluoridhaltiger Zahnpasta in der Schule positiv auf die weitere gesundheitliche Entwicklung des Wechselgebisses von Schulkindern auswirkt. 

Diese Fakten verdeutlichen, welche Chancen sich im Setting Schule bieten, um allen Kindern einen guten Weg zu bereiten.

Nicht zuletzt sprechen entwicklungspsychologische Gründe für eine Fortführung des Zähneputzens nach dem Wechsel der Kinder in die Grundschule. Insbesondere, wenn das Zähneputzen im Kindergartenalltag implementiert war, wird ein potentieller Bedeutungsverlust richtiger und wichtiger hygienischer Maßnahmen in der Schule vermieden. Weiterhin führen ritualisierte Hygienemaßnahmen als fester Bestandteil des Tagesablaufs zu einer positiven Prägung gesundheitlicher Verhaltensweisen, die bis ins Erwachsenenalter beibehalten werden. 

„Gesunde Schule“

Diese Form des selbständigen und selbstbestimmten Handelns in Bezug auf die eigene Gesundheitsbildung geht auf den Leitbegriff der „Befähigung“, bzw. des „Empowerment“ in der „Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung“ der WHO aus dem Jahr 1986 zurück. Angelehnt an diese Empfehlungen wird sie beispielsweise in Programmen wie „Bildung und Gesundheit“ des Landes Nordrhein-Westfalen oder „OPUS-Netzwerk Gesunde Schule“ des Landes Brandenburg umgesetzt. Lehrer und Schüler werden in diesen Programmen dazu befähigt, gemeinsam zum Gesundheitsförderungsprozess und der Gestaltung gesunder Lebenswelten in der Schule beizutragen. Innerhalb dieser strukturellen Prozesse ist es durchaus vorstellbar, dass Schulen Ressourcen und Rahmenbedingungen zur Mundhygiene bereitstellen, um auf diese Weise eine Zahngesundheitsförderung im schulischen Alltag einzubinden.

Um einen solchen Ansatz praktisch realisieren zu können, sind die Einsicht und die Unterstützung von anderen, am Entscheidungsprozess unmittelbar beteiligten Institutionen auf Landesebene und in den Kommunen wichtig. Die selbstverständliche Einbettung der Mund- und Händehygiene in das schulische Lebensumfeld der Kinder könnte beispielsweise durch die bauliche Einplanung einer ausreichenden Zahl Waschbecken abseits der häufig ungeliebten sanitären Anlagen ohne großen Aufwand ermöglicht werden.

Es gibt bereits erste, Erfolg versprechende, mit einfachen Mitteln umgesetzte Konzepte und gute Beispiele regelmäßigen Zähneputzens in Grund- und Ganztagsschulen sowie in Kinderhorten. Sie zeigen, dass die Installation von Waschbecken oder eines Zahnputzbrunnens und die Bereitstellung hygienischer Aufbewahrungsmöglichkeiten für Zahnputzutensilien eine aktive schulische Prävention und Gesundheitsförderung ermöglichen. Eine Verstetigung dieses sinnvollen Ansatzes für mehr gesundheitliche Chancengleichheit ist  ein zentrales Anliegen des BZÖG. Zahngesundheitsförderung kann nicht allein durch zahnärztliche Maßnahmen erreicht werden, sondern ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die durch die Nutzung von geeigneten Kooperations- und Netzwerkstrukturen gelöst werden muss.

Eine produktive Zusammenarbeit an der Schnittstelle zwischen Bildungs- und Gesundheitswesen sollte daher auf allen Ebenen dort geschaffen werden, wo sie nicht vorhanden ist, bzw. dort intensiviert werden, wo sie bereits besteht. Die Umsetzung dieses Zieles ist letztendlich jedoch nur möglich, wenn Kooperations- und Kommunikationsstrukturen zwischen Gesundheits- und Bildungswesen zum Wohle der Kinder geschaffen und genutzt werden. Der BZÖG ruft daher aus Anlass des Tages der Zahngesundheit 2013 alle für die Realisierung solcher Vorhaben notwendigen Entscheidungsträger dazu auf, sich zu einem Netzwerk für mehr Mundgesundheitsförderung an den Schulen zusammenzuschließen und den Weg für Chancengleichheit für eine „lebenslange Mundgesundheit“ gemeinsam zu ebnen.