Statement 12.09.2012

Von Frau Prof. Dr. Ina Nitschke; MPH, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für AlterszahnMedizin e.V.

Gesamter Audio Mitschnitt des Statements:

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Zähne sind – in der Regel zahlreich – bereits im Embryo angelegt, und die Zahnmediziner setzen sich deshalb schon während der Schwangerschaft für die Mundgesundheit des Kindes ein. Nach der Geburt begleiten die Zahnmediziner Eltern und Kind, um schwere Erkrankungen des Milchzahngebisses zu vermeiden und auch von den nachfolgenden bleibenden Zähnen Schäden fernzuhalten.

Im Erwachsenenalter stehen, neben der professionellen Zahnreinigung, die Motivierung und Aufklärung darüber, wie Zahngesundheit aufrecht erhalten werden kann, im Mittelpunkt. Patienten und Zahnärzte sind dabei gemeinsam sehr erfolgreich: Immer mehr Zähne bleiben mittlerweile ein Leben lang erhalten. Bei der 3. Deutschen Mundgesundheitsstudie (DMS III, Daten aus dem Jahr 1997) waren von den Senioren in der Altersklasse 65 – 74 Jahre fast 25 % komplett zahnlos, bei der DMS IV (Daten aus dem Jahr 2005) nur noch rund 22 %, und wir erwarten in wenigen Jahren bei der anstehenden DMS V einen weiteren Rückgang. Durchschnittlich fehlten den Senioren (65 – 74 Jahre) im Jahr 1997 rund 21 Zähne, im Jahr 2005 nur noch 17,8. Die Zahlen zeigen nicht nur einen Anstieg des Erhalts der natürlichen Zähne, sondern auch der damit verbundenen Lebensqualität: Solange es natürliche feststehende Zähne gibt, und seien es nur wenige, kann notwendiger Zahnersatz, der die Lücken überbrückt, gut abgestützt werden und das Essen, Sprechen und Lachen erleichtern. Selbst wenn sie „nur“ als Träger für einen Zahnersatz dienen, sind die eigenen Zähne doch Teil des natürlichen biologischen Systems – und auch preiswerter als eine Abstützung auf einer eingesetzten künstlichen Zahnwurzel, einem Implantat. Solange die eigenen Zähne da sind und auch belastet werden können, bleibt (wenn keine Entzündungen auftreten) auch das Parodont, das Zahnbett aus Knochen und Zahnfleisch, vital. Gehen Zähne verloren, hat dies – zumal im sichtbaren Bereich –soziale Auswirkungen: Zahnlücken sind heute gesellschaftlich nicht akzeptiert. Aber auch die Funktion des Restgebisses wird gestört, und dort, wo der Kieferknochen nicht mehr belastet wird, bildet er sich zurück. Das gefährdetdas gesamte System im Mund und erhöht den Aufwand deutlich, wenn in eine solch „geschrumpfte“ Region später doch einmal ein Implantat gesetzt werden soll. Insofern ist jeder Zahn, der mit dem Menschen zusammen älter wird und ihm erhalten bleibt, ein großer Gewinn. Er macht es leichter, auch mit 65 plus noch gut auszusehen, essen, sprechen und lachen zu können.

Es gibt verschiedene Gründe, warum es mancher Zahn nicht bis ins hohe Alter des Menschen schafft – z.B. wegen Karies oder Parodontitis. Dann wird in der Regel Zahnersatz nötig, der heute in einer beeindruckenden Vielfalt an Möglichkeiten zur Verfügung steht und weitgehend allen Patienten mit ihren individuellen Zahnverlustproblemen Kauvermögen und Optik zurückgibt. Von einfachen Lösungen, die weitgehend komplett von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen werden, bis hin zu noblen HighTech-Lösungen und natürlich wirkender Ästhetik steht ein großes Feld an Alternativen zur Verfügung. Auch wenn ältere Patienten, wie Umfragen zeigen, von ihrem Zahnersatz vor allem sicheren Halt und gute Funktion erwarten, zeigt sich in der Praxis, dass auch ein gewisser Anspruch an ein gutes Aussehen besteht. Auch Komfort spielt eine große Rolle. Insofern verwundert es nicht, dass sich immer mehr Patienten für eine natur-ähnliche Lösung entscheiden, eine Keramik-Krone. Diese kann dann auch unsichtbar von einer Ersatzzahnwurzel, einem Implantat, getragen werden. Die Haltbarkeit der verschiedenen Zahnersatz-Möglichkeiten hängt von vielen Faktoren ab, angefangen von der Gesundheit des Patienten bis hin zu dem Aufwand, der für die prothetische Versorgung mit dem Patienten verabredet wurde. „Billig-Lösungen“ tragen in der Zahnmedizin wie überall ein höheres Risiko für unerwünschte Effekte, allerdings ist auch „teuer“ keineGarantiefür Langzeiterfolg. Wichtig ist vielmehr die seriöse und individuelle Planung unter Berücksichtigung sehr vielfältiger Faktoren, zu denen auch Lebensgewohnheiten wie Rauchen oder reduzierte Lust an der Mundhygiene gehören. Ganz klare Pluspunkte hinsichtlich Lebensqualität hat aus Sicht der Patienten ein Zahnersatz, der sehr gut passt und fest sitzt. Hier kann auch der implantatgetragene Zahnersatz weiterhelfen. Patienten berichten, dass sich die Versorgung mithilfe von dentalen Implantaten „wie mit den eigenen“ Zähnen anfühlt. Patienten verdrängen mit der Zeit, dass es sich um Ersatz und eine eingesetzte Titan-Zahnwurzel handelt. Die Lebensqualität mit implantatgetragenem Zahnersatz wird als sehr hoch beschrieben. Die höheren Kosten sind zwar für viele Patienten noch eine Hürde, aber wie die Patientenklientel in den implantologischen Praxen zeigt, sind es keineswegs nur die „Besserverdiener“, die sich heute Implantatlösungen leisten, sondern Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten. Für die wirtschaftlich Schwächeren stehen zudem heute viele etablierte und umfangreich genutzte Möglichkeiten zur Verfügung, die Kosten beispielsweise über Ratenzahlungen in den Griff zu bekommen.

Bedacht werden muss: Wer mit 65 Jahren in den Ruhestand eintritt, hat noch eine mittlere Lebenserwartung von rund 20 Jahren. Dies bedeutet, dass 50% der über 65-Jährigen noch mehr als 20 Jahre leben werden. Viele Menschen werden sogar weit über 85 Jahre alt. Mit dieser zeitlichen Perspektive relativiert sich auch der finanzielle Aufwand für die Patienten. 20 Lebensjahre sind 7.300 Lebenstage und rund 22.000 Mahlzeiten, wenn nur drei pro Tag berücksichtigt werden. Wer mit 65 plus noch lange Genuss haben möchte, muss also dafür sorgen, dass seine eigenen Zähne so lange wie möglich vital und kraftvoll im Zahnbett stehen – und ein späterer Zahnersatz dann im Einklang mit den individuellen persönlichen Voraussetzungen und Wünschen das Bedürfnis nach Lebensqualität erfüllt. Im Restaurant seine Prothese in der Handtasche zu verstecken– das gibt es tatsächlich noch! – muss heute also nicht mehr sein, und ein greisenhaft erscheinendes Profil, wie es sich bei fehlenden Zähnen einstellt, muss heute auch kein Senior mehr bekommen. Und auch die Umstellung der Ernährung auf ungesunde und wenig Freude bereitende Breikost, weil man die natürliche Form der Nahrung, dazu gehören auch Salat und frisches Obst, nicht mehr kauen kann, ist heute weitgehend vermeidbar.

Die Zahnmedizin hat mit dem Bereich Seniorenzahnmedizin ein eigenes Gebiet geschaffen, das sich den biologischen, medizinischen, sozialen und emotionalen Besonderheiten des älteren und alten Menschen insbesondere im Zusammenhang mit seiner Mundgesundheit widmet und daher auch vielfältige, individuell entwickelte Lösungen anbieten kann:

  • Biologische Veränderungen: Der Mund entwickelt sich im Alter vielfältig; Zähne können sich verschieben, die Heilung und Regeneration erkrankten Zahnbettgewebes ist verlangsamt (erhöhtes Risiko für Zahnverlust), versteckte bakterielle Beläge an Prothesen und auf der Zunge verschärfen die Situation bis hin zur Pneumoniegefahr, Mundtrockenheit (aufgrund zu geringer Flüssigkeitsaufnahme, der Einnahme vieler Medikamente etc.) erhöht das Karies- und damit Zahnverlustrisiko, hormonelle Veränderungen wirken sich auch im Knochen aus und erhöhen ebenfalls das Zahnverlust-Risiko. Die Zahnmedizin empfiehlt daher halbjährliche Kontrolltermine beim Zahnarzt, um sich ankündigende Veränderungen frühzeitig zu erkennen und, wenn möglich, aufzuhalten.
  • Medizinische Veränderungen: Manche Erkrankung ist in höherem Alter bereits chronifiziert, was zu Belastungen für die Allgemeingesundheit, z.B. für das Immunsystem, führt. Viele Menschen stehen, wie oben bereits erwähnt, unter Dauermedikationen, die oft negative Auswirkungen auf die Mundgesundheit haben. Die Ernährung spielt eine große Rolle, um den Körper insgesamt fit zu erhalten – und damit auch das Gewebe im Mund. Das Abwehrsystem, das auch für die Bekämpfung parodontaler Infektionen im Mund wichtig ist, benötigt frische Vitamine, vor allem Vitamin C.

Doch gibt es auch umgekehrte Effekte: Eine Studie an der Universität Jena hat gezeigt, dass Menschen mit Parodontitis auch bei überhöhter Einnahme von Vitamin C nur wenig davon aufnehmen, deutlich weniger als zahngesunde Menschen. Und eine gesunde Ernährung fällt dann leichter, wenn der ältere Mensch auch kauen kann. So hängen Ernährung, Mundgesundheit und Allgemeingesundheit eng zusammen.

  • Soziale Veränderungen: Der Mensch wird spätestens rund um seinen 65. Geburtstag zum „Privatmensch“. U.U. brechen im neuen Lebensabschnitt dann die bisherigen Routinen der Gesundheitspflegeein. Deshalb kann es sinnvoll sein, die Abstände für die professionelle Zahnreinigung zu verkürzen, um eine Ersatz-Routine und eine motivierende Prüf-Instanz hierfür zu etablieren. Berufliche Anforderungen, die ein anspruchsvolles Auftreten erforderten, fallen in dieser Lebensphase weg – das kann Nachlässigkeiten fördern. Aber auch wenn der Mensch selbst seinen Arbeitsplatz aufgibt: Die Mundgesundheit geht keineswegs ebenfalls in Rente! Viele Menschen gestalten sich nach der Schwelle des 65. Geburtstages ein neues soziales Umfeld, engagieren sich ehrenamtlich, knüpfen neue und pflegen alte private Kontakte. Niemand muss zum „alten Eisen“ gehören – oder auch nur so aussehen. Die Senioren legen heute Wert darauf, mindestens die erste der drei Lebensphasen des Ruhestandes wie die „gesunde Lebensmitte“ in Optik und Funktion solange wie möglich zu verlängern. Hier sprechen die Zähne, weit mehr noch als Haut und vorhandenes Haupthaar, eine deutliche „Sprache“. Die moderne zahnmedizinische Wissenschaft, die Kompetenzen in den Praxen und Dentallaboren wie auch die Innovationen der Dentalunternehmen unterstützen die Patienten dabei in vielfacher Hinsicht.
  • Emotionale Veränderungen: „Jugendlich“ zu wirken bedeutet für Ältere nicht, wie ein Jugendlicher zu wirken, sondern jung, modern, aufgeschlossen, dazugehörig, agil, lebendig, kurz:„nicht-alt“ zu sein. Auch hier spielen die Zähne eine – vielen Menschen gar nicht bewusste – führende Rolle. Mit schicker Frisur und moderner Kleidung, aber eingefallenem faltigen Mund und dadurch verkürzter Gesichtslänge sieht der „jugendlichste“ Senior ziemlich alt aus. Es ist vor allem der Mund mit ausreichend eigenen oder ersetzten Zähnen, der einen Eindruck von Vitalität vermittelt. Was mangelnde und mangelhafte Zahnversorgung für Konsequenzen hat, sehen wir schmerzlichst insbesondere bei Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderungen. Emotionale Veränderungen können auch als Belastungen auftreten, die mit der Aufgabe der beruflichen Tätigkeit oder mit dem Verlust eines nahestehenden Menschen verbunden sind. Wie Studien zeigen, wirkt sich auch diese Art „Stress“ negativ auf die Infektionsabwehr aus – Trauern z.B. kann so auch zu schlechterer Heilung im Mund führen, was in der Zahnarzt-Praxis ebenfalls bedacht werden sollte.

Die motivierte und geschulte Mitarbeit des Patienten ist bei alledemallerdings unverzichtbar, da der Patient der beste Co-Therapeut des Zahnarztes ist. Gut informiert und instruiert, kann er sich zuhause auch leichter seiner Mundgesundheit widmen bzw. erfolgreich daran mitwirken, Krankheiten aus seinem Mund fern zu halten.Um eine gute mundgesundheitsbezogene Lebensqualität für die über 65-Jährigen zu gewährleisten, müssen alle Beteiligten mit „anpacken“:

  • Patienten, Zahnärzte, Prophylaxeassistentinnen auf der individuellen „Mikroebene“ in den deutschen Zahnarztpraxen. Die Fachrichtung Seniorenzahnmedizin etabliert sich zunehmend- immer mehr Zahnärzte lassen sich zu Spezialisten für Seniorenzahnmedizin fortbilden.
  • Die Landesarbeitsgemeinschaften, die Verbände sowie die gesetzlichen Krankenkassen arbeiten für die Umsetzung des Gedankens 65+ mit Genuss auf der mittleren, der„Mesoebene“.
  • Der Gesetzgeber, also die Politik, soll die erforderlichen, grundsätzlichen Rahmenbedingungen auf der „Makroebene“ schaffen.

Nur gemeinsam wird es uns möglich sein, die enormen Anforderungen, die die demografische Entwicklung auslöst, und die hohen Erwartungen, die die älter werdenden Menschen an „mehr Genuss mit 65 plus“ haben, weitgehend zu erfüllen. Dass sich mittlerweile Arbeitsgruppen auf höchster politischer Bühne bilden und die Zahnärzte hier aktiv beteiligt sind, ist ein gutes Zeichen.

5 Tipps, wie die Patientenselbst dazu betragen können, ihren Ruhestand möglichst lange „genießen“ zu können:

  1. Regelmäßige Kontrolltermine beim Zahnarzt wahrnehmen und von sich aus über Veränderungen (Krankheiten, Medikamente, besondere Lebensumstände) berichten!
  2. Kontinuierlich die regelmäßige und gute Mundhygiene zuhause einhalten und sich bei aufkommenden Problemen in der Praxis Tipps geben lassen – z.B. zu anderen Mundhygiene-Techniken oder besonderen Mundhygiene-Hilfsmitteln!
  3. Bei der Mundhygiene die Prothesen-Hygiene nicht vergessen und den Zahnersatz regelmäßig auf Passform, versteckte Bakterienbeläge und Stabilität überprüfen lassen!
  4. Je nach Entwicklung der Mundgesundheitssituation in dazu angepassten Abständen eine professionelle Zahnreinigung nutzen, um „versteinerte“ und noch weiche versteckte Bakterienkulturen sorgfältig beseitigen zu lassen!
  5. Sich gesund ernähren, mit frischen natürlichen Vitaminen, und die Nahrung ausreichend kauen, um das Zahnbett zu „trainieren“, damit es noch lange kräftig und stabil bleibt!