Statement 12.09.2008

Von Prof. Dr. Dr. h.c. Georg Meyer

Gesamter Audio Mitschnitt des Statements:

Zentrale Auftaktpressekonferenz am 12. September 2008 in Berlin zum Tag der Zahngesundheit am 25. September 2008

Motto: „Gesund beginnt im Mund - aber bitte mit Spucke“

Prof. Dr. Dr. h. c. Georg Meyer, Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald

Der Speichel, volkstümlich die Spucke, ist ein eher negativ belegtes Medium, denn man denkt spontan daran, wie unhygienisch und unästhetisch es ist, etwas auszuspucken oder gar jemanden anzuspucken: letzteres gibt garantiert die rote Karte oder mehr …

Aus Sicht der Zahnmedizin ist der Speichel aber eine äußerst hilfreiche, interessante, komplexe und noch lange nicht in allen Konsequenzen erforschte Körperflüssigkeit, die außerdem viele Schnittstellen zu anderen medizinischen Disziplinen bietet, wie z. B. Genetik, Immunologie, Mikrobiologie, Ernährungswissenschaft, Onkologie u. a. .

„An Prophylaxe interessierte Zahnärzte sollten Speichel als eine zu ihrem Fachgebiet gehörende Flüssigkeit adoptieren. Speichel ist vermutlich der wichtigste Zahnerhalter.“ Dieses Zitat meines früheren Studenten und inzwischen renommierten Professors im Gebiet der Speichelforschung, Dr. Stefan Ruhl, der – das am Rande - Deutschland kürzlich wegen schlechter Forschungsbedingungen verlassen hat und nun erfolgreich in den USA arbeitet, charakterisiert sehr deutlich den für Laien unvermutet hohen Stellenwert des Speichels bei der Prävention von Karies und Parodontalerkrankungen.

Wie bereits von Herrn Dr. Oesterreich – übrigens zur vollen Zufriedenheit der Wissenschaft – dargelegt, haben sowohl Vorhandensein als auch Zusammensetzung, aber auch das Fehlen des Speichels eine von der Bevölkerung weit unterschätzte Bedeutung. Da waren die Menschen früher allerdings schon erheblich weiter: Vor rund 23.000 Jahren, war kürzlich bei einem Anthropologen-Kongress zu hören, haben die Menschen sogar spezielle Speichelsteinchen gelutscht, um die Speichelproduktion zu erhöhen. Ob sie schon dasselbe Wissen hatten wie wir – dass ausreichend Speichel erste Zahnschmelz-Auswaschungen, also Vorstufen von Karies remineralisiert, also repariert - wissen wir derzeit noch nicht, aber sie taten gut daran, den Speichel wert zu schätzen. Heute nutzt man – am besten zahnschonendes – Kaugummi, ein wichtiger Tipp auch für all diejenigen Menschen, denen es beispielsweise aufgrund von Krankheiten oder Medikamenten an ausreichend Speichel mangelt. Xerostomie, wie Mundtrockenheit in der Fachsprache heißt, kann temporär auftreten oder auch lang andauernd sein.

Temporär ist Xerostomie ein häufiger Begleiter bei Stress: Prüfungskandidaten leiden oft unter trockenem Mund, und auch Redner haben keineswegs nur aufgrund des langen Redens das Bedürfnis, etwas trinken zu wollen, auch hier ist der Stress ein wesentlicher Faktor für Mundtrockenheit. Reichlich Wasser trinken ist in solchen Fällen das beste Mittel gegen das trockene Mundgefühl.

Lang andauernd ist Xerostomie beispielsweise bei Patienten, die aus medizinischen Gründen bestrahlt werden oder die eine Speicheldrüsen-Operation hinter sich haben. Solche Patienten erhalten künstlichen Speichel. Für uns Zahnärzte ist wichtig, dass wir schon im Vorfeld die Zähne der Patienten durch Fluoridierung gegen die zu erwartenden Schmelzschäden schützen: Wo der Speichel fehlt, fehlt es auch an der Reparaturfähigkeit erster Schmelzschäden, und da brauchen die Zähne unsere besondere Unterstützung.

Übriges sollte man auch bei lang anhaltendem Stress, wenn er zu Mundtrockenheit führt, besonders auf die Mundgesundheit achten, denn ob der Speichel aufgrund von Krankheit oder lediglich temporärer Überlastung fehlt, ist für das Ökosystem Mund nicht relevant. Das Spannende am Speichel aus Sicht der Zahnmedizin: Er hat zwei Seiten. Eine gute – und eine weniger gute. Warum es auch die „weniger gute“ gibt, erkläre ich gleich.

Die guten Seite kennen wir in der Regel bereits und haben das heute auch schon gehört: Speichel remineralisiert die Zähne und ist ein wichtiger Teil des Immunsystems. Fast wöchentlich erfahren wir aktuelle neue Zusammenhänge, die zeigen, wie massiv unterschätzt die Rolle der Mundflüssigkeit bisher war – und lernen dabei auch immer mehr, wo er seine weniger guten Seiten zeigt.

Speichel als „Transporter-Medium“ bringt beispielsweise – und das ist eine der weniger guten Seiten - pathogene Keime, die Krankheitsrisiken bergen, auch zu Stellen im Mund mit Verletzungen. Durch diese Stellen gelangen die Mundbakterien in den Organismus – mit erheblichen Folgen, deren Ursache oder Trigger-(Verstärker-)Funktion man nicht im Mund erwartet hätte, Dr. Oesterreich hat bereits einiges angedeutet. Zu den noch sehr frischen Forschungsergebnissen, hier aus Japan, gehört, dass - anders als wir bisher dachten - keineswegs nur typische Parodontitis-Keime in das Geschehen bei Herzinfektionen (Endokarditis) involviert sind: Auch einer der Leitkeime der Karies, Streptococcus mutans, geht offensichtlich einher mit kardiovasculären Erkrankungen. M. Streptococcen-DNA wurde bei Endokarditis sogar häufiger gefunden, als die von den Leitkeimen parodontaler Entzündungen.

Das Spannende und für uns in der wissenschaftlichen Forschung Interessante daran ist die Frage des WARUM: Wie kommt es, dass der „gute Speichel“, obwohl sich an seiner Zusammensetzung und auch den mitschwimmenden Keimen nichts ändert, auf der einen Seite positive Wirkungen hat und auf der anderen negative? Die Antwort ist nur auf den ersten Blick überraschend: Weil Speichel im Mundraum spült und der Bereich auch gut belüftet ist, hält sich die Keimmischung in einem relativen Gleichgewicht. In einer Zahnfleischtasche aber fallen Spülung und Belüftung weg – die pathogenen Keime vermehren sich massiv, es kommt zu einer Keimverschiebung, das biologische System kippt in die ungünstige Richtung. Ähnliches findet übrigens bei Zahnfüllungen statt: Wir haben getestet, was passiert, wenn eine schadhafte Stelle präpariert, also „saubergebohrt“ wird, aber nicht gleich gefüllt. Es hat sich hier auch nach längeren Wochen keinerlei Karies gezeigt. Der Grund: Speichelfluss und Belüftung haben für ein ausgeglichenes biologisches System gesorgt. Unter einer Füllung, die einen kleinen Spalt hatte, durch den Keime eindringen konnten, entwickelte sich dagegen nach kurzer Zeit Karies – weil dieser Bereich wie eine abgeschlossene Höhle wirkte.

An sich ist das nichts anderes als das, was wir auch von der Haut kennen: Obwohl die Haut von Millionen von Keimen besiedelt ist, ist sie – wenn belüftet und gelegentlich gespült – selten entzündet.

Das Wissen auch um die negativen Seiten des Speichels ist um so wichtiger, je mehr wir lernen, welche Folgen ein „gekipptes biologisches System“ wie in einer Zahnfleischtasche haben kann. Ein verletzungsfreier Mund bekommt daher - über die Mundgesundheit hinaus - eine große Bedeutung. Am Beispiel Endokarditis (Herzinnenhautentzündung) lässt sich das gut nachvollziehen, und hier sind auch die Kardiologen den Mundbakterien auf der Spur: Diese oralen Keime werden inzwischen als wichtigste begünstigende Voraussetzung für die Entstehung einer Endokarditis erachtet.

Dem Zusammenhang kam man auf die Spur, als man feststellte, dass in der Mehrheit aller untersuchten Fälle die entzündlichen Herzerkrankungen nicht, wie gedacht, durch invasive chirurgische Eingriffe verursacht werden, die Keime also erst im Rahmen der Operation eindringen. Die Keimverschleppung musste also auf anderen Wegen erfolgen, und hier sprach vieles für die Mundbakterien. Wir von der zahnärztlichen Seite können diese Vermutung durchaus bestätigen: Wenn man bedenkt, dass 9 mm tiefe entzündete Zahnfleischtaschen bei voller Bezahnung in der Summe einer Fläche von 25 cm² infiziertes Zahnbettgewebe entsprechen, ist das doch eine wirklich beachtliche Größe für eine offene Wunde - und damit auch ein idealer Zugang für entzündliche Risikokeime der Mundhöhle in die Blutbahn. Was dann passieren könnte, haben Versuche am Tier ergeben: Hier führten die Leitkeime oraler Entzündungen nach Injektion in die Blutbahn zu Gerinnungsstörungen, Thrombenbildung und Gefäßveränderungen. Das könnte die wissenschaftlich belegten Zusammenhänge zwischen Parodontalerkrankungen und Herz- Kreislauferkrankungen bis hin zum Herzinfarkt sowie Schlaganfällen erklären. Der Speichel, der je nach bakteriellem Ungleichgewicht zu einer „infektiösen Lösung“ werden kann, transportiert die pathogenen Keime überall hin, auch dahin, wo sie weiter in die Blutbahn gelangen.

Einige andere Studien zeigten zudem, dass eine profunde Parodontitis das Risiko für Frühgeburten und auch niedriges Geburtsgewicht erhöht – Grund ist vermutlich, dass eine chronische systemische Entzündung wie die Parodontitis die individuelle Anzahl an Leukozyten verändert und damit die Widerstandskräfte, das Immunsystem des Körpers.

Je mehr wir über die Zusammenhänge von Mund, Keimen, Speichel und nicht allein lokale Munderkrankungen, sondern auch allgemeinmedizinische Infektionserkrankungen bzw. immunsystemrelevanten Folgen wissen, umso wichtiger wird es, dass wir dem Speichel mehr Beachtung schenken. Das ungestörte – und hier liegt der entscheidende Punkt – Speichelsystem hat offenbar eine enorme Schutzfunktion. Speichel kann „harte Werkstoffe“ wie den Zahnschmelz kitten, wo Säureauslösungen zu einer Karies führen könnten. Und er hat letztlich in Zusammenarbeit mit einem Millionenheer an im Gleichgewicht lebenden Keimen eine bemerkenswert wichtige Schutzfunktion vor Infektionen.

Für uns in den Zahnarztpraxen – und in der Wissenschaft – wird die Aufgabe, Mundgesundheitsschäden zu vermeiden, dadurch auch zu einer Präventionsaufgabe von relevanten Risikofaktoren für allgemeingesundheitliche Erkrankungen. Für die Patienten bedeutet das, das sie leider nicht nachlassen dürfen bei der Mundhygiene, sondern jetzt noch mehr gute Gründe haben, mit dieser vergleichsweise leichten Art des Gesundheitsschutzes auch über en Mund hinausgehende Erkrankungen zu vermeiden. Der Mund, das wird bei diesem Thema zum Tag der Zahngesundheit 2008 deutlich wie selten, ist kein „Einzelteil“ des Körpers, sondern Teil eines gesamten Systems. Wird seine Pflege vernachlässigt, kann das im schlimmsten Fall zu bedrohlichen Folgen für die Gesamtgesundheit führen.

Ratgeber für Patienten: So halten Sie Ihren Speichel gesund

  • Rauchen Sie nicht – das macht ihn zähflüssig und weniger aktiv
  • Sorgen Sie durch sorgfältige und regelmäßige Mundhygiene für ein ausgewogenes Gleichgewicht an Keimen im Mund, besonders wenn Sie unter Mundtrockenheit leiden
  • Entfernen Sie Zahnbeläge (Plaque) sorgfältig: Nur wo Speichel auch den Zahn umfließen kann, kann er seine Remineralisationsaufgabe ausüben. Dicke Beläge fördern die Kariesentwicklung.
  • Nehmen Sie Zahnfleischbluten nicht auf die leichte Schulter: Es kann der Anfang einer Zahnbettentzündung (Parodontitis) sein, die Pforten eröffnet für das Eindringen pathogener Keime in die Blutbahn. Wenn Zahnfleischbluten nach zwei Tagen sorgfältigen Putzens nicht gestillt ist, sollte sicherheitshalber ein Zahnarzt befragt werden.
  • Bei einem trockenen Mund, wie er bei Krankheiten und Medikamenteneinnahme entstehen kann, sollte durch Kaugummikauen die vermehrte Speichelproduktion angeregt werden.
  • Bei Stress tut ausreichend Wasser gut. Wasser verdünnt die hilfreichen Schutzfunktionen des Speichels nicht.
  • Gesundheitsschutz bietet nur ein ungestörtes Speichelsystem: Gestört wird es durch zucker- oder säurehaltigen Getränken bzw. durch zucker- und kohlenhydratreiche Ernährung, die ihn versäuern, und vor allem durch ein Ungleichgewicht an Keimen, das durch zuviel Zahn-Belag entsteht. Zahnbelag ist nichts anderes als eine Melange aus Keimen der verschiedensten Art und „Klebstoffen“ aus Zellresten und „Spucke“.

Gesund beginnt im Mund – der traditionelle Slogan zum Tag der Zahngesundheit seit 1991 hat damals noch gar nicht geahnt, wie recht er hat.