Statement

Von den Spitzenverbänden der Krankenkassen

Pressekonferenz zum „Tag der Zahngesundheit“ am 07.09.2007 in Berlin

AOK-Bundesverband, Bonn
BKK Bundesverband, Essen
IKK-Bundesverband, Bergisch Gladbach
See-Krankenkasse, Hamburg
Bundesverband der landwirtschaftlichen Krankenkassen, Kassel
Knappschaft, Bochum
Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V., Siegburg
AEV-Arbeiter-Ersatzkassen-Verband e.V., Siegburg unter Mitarbeit von: Medizinischer Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen, Essen

Stellvertretend für die Spitzenverbände der Krankenkassen heiße ich Sie herzlich Willkommen zur heutigen – insgesamt 17ten - Auftaktveranstaltung zum „Tag der Zahngesundheit“. Es steckt viel drin im diesjährigen Motto: „Gesund beginnt im Mund – auch unsere Zähne leben länger“. Gesundheit wünscht sich jeder von uns. Ist aber auch jeder bereit und in der Lage, seinen Beitrag dazu zu leisten? Auch die Mundgesundheitsvorsorge ist keine Momentaufnahme, sie muss ein Leben lang – von der Geburt bis ins Alter – konsequent betrieben werden.

Der heutige Rahmen bietet aus Sicht der Spitzenverbände der Krankenkassen Gelegenheit, eine Bestandsaufnahme zu machen. Die Erfolge werden sicherlich zu Recht gefeiert. Weitere Verbesserungen sind mit Blick auf die kommenden Jahre jedoch nur dann zu erwarten, wenn Mängel schnell und unbürokratisch angegangen werden.

Es liegt in der Natur der Sache, dass sich die Krankenkassen nur geringfügig aktiv an Maßnahmen in Kindergärten und Schulen beteiligen können. Das überlassen wir den Fachleuten vor Ort. Ich kann Ihnen aber versichern: Wir sind die größten Anhänger derjenigen, die sich tagtäglich im direkten Kontakt mit unseren Versicherten um die Verbesserung und Nachhaltigkeit der Präventionsmaßnahmen bemühen. 

Hierfür sage ich stellvertretend für alle Krankenkassen nochmals ein herzliches Dankeschön.

Als Hauptfinanzier der Maßnahmen und Projekte im Prophylaxebereich kommt den gesetzlichen Krankenkassen jedoch eine zentrale Bedeutung zu: Die erzielte Kariesfreiheit z. B. bei 70 % der Zwölfjährigen konnte nur mit dem finanziellen Aufwand der GKV erreicht werden – für die zahnmedizinische Individual- und Gruppenprophylaxe sowie die Kinder-Früherkennungsuntersuchungen waren es im Jahr 2006 immerhin mehr als 450 Mio. €. Diese Finanzmittel müssen zum Erhalt und zum weiteren effektiven Ausbau der Prophylaxe auch in Zukunft bereit stehen. „Das ist doch selbstverständlich“ mögen Sie sagen! Leider nein. Wirklich sicher dürfte dies nur noch für das kommende Jahr 2008 sein. Das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz, das am 01.04.2007 in Kraft getreten ist, sieht für den Zeitraum ab 01.01.2009 mit der Einführung des so genannten Gesundheitsfonds u. a. eine veränderte, eine gewollt ausgabenbezogene Wettbewerbssituation unter den Kassen vor. Für die Finanzierung der Gruppenprophylaxe könnte dies erhebliche Folgen haben. Man stelle sich unter den neuen Finanzierungsbedingungen eine Kasse vor, die mit dem gesetzlich zugeteilten Beitrag das Leistungsaufkommen der Versicherten nicht abdecken kann ohne dafür verantwortlich zu sein.

Dies kann – und dafür sprechen bereits jetzt deutliche Zeichen – sich für Kassen ergeben, die aufgrund ihrer Versichertenstruktur mehr Beiträge benötigen. Oder das kann Kassen betreffen, die für die gleichen Leistungen höhere Vergütungen leisten müssen. Versprochen hatte der Gesetzgeber hingegen gleiche Ausgangsbedingungen zum Start in das Zuteilungssystem. Diesen Kassen wird nichts anderes übrig bleiben, als im Zuge des harten Kostenmanagements in den Bereichen einzusparen, in denen das Gesetz eine Leistungsverpflichtung in bestimmter Höhe nicht vorsieht. Die Maßnahmen der Gruppenprophylaxe könnten hiervon durchaus betroffen sein, da im Gesetz nur eine Kostenbeteiligung in unbestimmter Höhe vorgesehen ist.

Auch wenn das Prinzip Hoffnung nicht zu den Regulativen des Gesundheitswesen zählt: Es bleibt zu hoffen, dass dieses Zukunftsszenario nicht zur Wirklichkeit wird. In diesem Zusammenhang ergibt sich ein weiteres Phänomen aus dem Gesetz: Es wäre für den Gesetzgeber ein Leichtes gewesen, sein Bekenntnis zur präventiven Ausrichtung des Gesundheitswesens im aktuellen GKV-WSG durch eine verpflichtende Kostenbeteiligung der Privaten Krankenversicherung an den Maßnahmen der Gruppenprophylaxe zu unterstreichen. 

Nichts ist passiert. Vielmehr erfolgt eine systematische Entzweiung zwischen Vorsorge und Therapie in der Zahnmedizin. Und das geht so: Die gesetzlichen Kassen – also ohne die PKV – werden weiterhin gesetzlich verpflichtet, Prävention und Prophylaxeleistungen aus den Versichertenbeiträgen zu finanzieren. Denselben Versicherten wird jedoch nahe gelegt, sich zusätzlich privat gegen Zahn- und Gebissschäden - zur Freude der Unternehmensgewinne der PKVen - abzusichern. Gesundheitspolitisch passt das ganz einfach nicht mehr zusammen.

Prophylaxe und Versorgung gehören in die gleiche finanzielle Verantwortung. Die vielfach diskutierte Herausnahme zahnmedizinischer Versorgungsbereiche aus dem gesetzlichen Leistungskatalog macht vor diesem Hintergrund keinen Sinn: Wo würde für die GKV der Nutzen liegen, wenn Prävention und Prophylaxe bezahlt werden, Zahnfüllungen oder Zahnkronen jedoch privat versichert sind? Die Spitzenverbände der Krankenkassen sprechen sich deswegen auch ganz klar für den Verbleib der zahnmedizinischen Versorgung unter dem Dach der GKV aus.

Das diesjährige Motto zum Tag der Zahngesundheit schließt sämtliche Jahrgänge bis ins hohe Alter ein. Für Erwachsene ab dem 18. Lebensjahr sieht das Gesetz keine zahnmedizinischen Prophylaxeleistungen der Krankenversicherung vor. Für Kinder und Jugendliche bis 16 werden die Krankenkassen dagegen über § 21 Abs. 1 SGB V zu einer Art Federführer zur Gestaltung effektiver und effizienter Strukturen bestimmt. Die Spitzenverbände der Krankenkassen möchten sich deshalb auf zwei Altersgruppen ganz besonders konzentrieren: - Die Verstärkung der Betreuung von unter Dreijährigen und - die Verstärkung der Betreuung von über 12-Jährigen.

Die zahnmedizinisch-präventiven Aktivitäten in Kindergärten, Schulen und anderen Einrichtungen wurden im Zuge des Ausbaus in den letzten Jahren ständig systematisiert und intensiviert. Aktuelle Daten belegen jedoch, dass etwa die Hälfte der Vorschulkinder noch heute an Milchzahnkaries leiden. Im Durchschnitt sind etwa 2 – 3 Karies geschädigte Milchzähne pro Kind betroffen. Darüber hinaus bereitet den Spitzenverbänden der Krankenkassen die Situation bei den Jugendlichen Sorge. Ist bei den 12-Jährigen durchschnittlich etwa ein Zahn kariös oder gefüllt feststellbar, betrifft es bei den 15-Jährigen bereits zwei Zähne. Und wenn weiterhin nur 40 Prozent der 15-Jährigen ein kariesfreies bleibendes Gebiss haben, dann muss schnell gehandelt werden. Denn die Folgen für die GKV sind Kosten: Füllungen, die Therapie weiterer Schäden, die Entfernung von Zähnen, bei Kindern oft auch die aufwendige Behandlung in Vollnarkose, Zahnersatz. 

Die Spitzenverbände der Krankenkassen verfolgen deshalb das Ziel, die hierdurch verursachten Kosten zu minimieren oder gar zu vermeiden. Die Erfolge, die mit den eingesetzten Finanzmitteln der GKV erzielt wurden, können sich wirklich sehen lassen. Nicht bekannt ist jedoch, welchen Anteil welche Maßnahme an diesen Ergebnissen hat. 

Sicher ist, dass die vermehrte Inanspruchnahme der Individual- und Gruppenprophylaxe einen wesentlichen Beitrag geleistet hat; die Wirkung des Fluorids an der Zahnoberfläche, Fissurenversiegelungen sowie flankierende

Aufklärungs- und Beratungsleistungen sind heute unumstritten. Sie wirken aber nicht standardisiert über alle Jahrgänge gleich und erfolgen auch nicht immer da, wo der Bedarf besteht. Daraus leitet sich aus Sicht der Spitzenverbände der Krankenkassen auch die vorhandene Kariesschieflage ab, denn noch heute besitzen etwa 25 % der 15-Jährigen ca. 80 % des gesamten Kariesaufkommens.

Unter den bestehenden Strukturen in der Gesellschaft und in der GKV wird dieser unbefriedigende Verlauf der Kariesentwicklung bei den Jugendlichen jedoch nicht behoben werden können. Die Erkenntnis, dass insbesondere Kinder aus Familien mit niedrigem Sozialstatus oder mit Migrationshintergrund stärker gefährdet sind als ihre Altersgenossen, muss deshalb zu grundlegenden Strukturveränderungen führen, die alters- und gruppenspezifische Vorsorge- und Prophylaxekonzepte möglich machen. 

Diese Aufgabe kann aber nicht von der GKV allein geleistet werden; gefordert ist vielmehr die Gesellschaft.

Vom Staat müssen deshalb verpflichtende Elemente geschaffen werden, die routinemäßig in den Erziehungs- und Entwicklungsprozess herein greifen. Die

  • Verpflichtung zu Vorsorgeuntersuchungen von der Geburt bis zum Schulaustritt,
  • die Verpflichtung zur Herstellung eines gesundheitsförderlichen Umfelds in Kindergärten und Schulen und an allen weiteren denkbaren Plätzen wie Geburtskliniken, Stillgruppen, Kinderkrippen, „Krabbelgruppen” und Kindertagesstätten einschließlich Gesundheitserziehung und Gesundheitsunterricht,
  • die Fortbildung von Erziehern, Lehrern und Tagesmüttern,
  • die Einflussnahme auf das Ernährungs- und Bewegungsverhalten

sind Kernsätze, die für eine gesundheitliche Weiterentwicklung stehen.

„Diese Chancenungleichheit dürfen wir nicht zulassen.“ So wird die Gesundheitsministerin nach der Veröffentlichung der kürzlich präsentierten Erkenntnisse aus der Kinder- und Jugend-Gesundheitsstudie (KiGGS) des Robert-Koch-Instituts zitiert. Nun erwarten die Spitzenverbände der Krankenkassen auch mutige Eingriffe in die Strukturen, um gefährdete Kinder frühzeitig zu erkennen und gezielt in ein engmaschiges Betreuungsnetz lotsen zu können.

Bonn, Essen, Bergisch Gladbach, Hamburg, Kassel, Bochum, Siegburg, 07.09.2007