Statement 24. September 2003

Von Prof. Dr. Bärbel Kahl-Nieke, Fachzahnärztin für Kieferorthopädie, Direktorin der Poliklinik für Kieferorthopädie, Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, UKE

„Tag der Zahngesundheit“ 2003 / Zentrale Pressekonferenz 24.9.03 Hamburg

Zähne gehören zusammen, sie sind ein Team

Wie beim Fußball dauert es einige Zeit bis alle Spieler der Kindermannschaft ihre Position eingenommen haben. Das erste Team ist im Alter von zwei bis drei Jahren mit 20 Milchzähnen vollständig. Während der Spielzeit des lückig aufgestellten Milchgebisses vom 3. bis zum 6. Lebensjahr ist das Zusammenspiel (Kontakt) zwischen den oberen und unteren Zähnen wichtig. Hat sich unabhängig von der Zahnstellung wegen unterschiedlichem Wachstum von Ober- und Unterkiefer ein falscher Biss ausgebildet, muß der Trainer (Kieferorthopäde) entscheiden, ob eine frühe Behandlung nötig ist. Zum Beispiel entsteht bei Kreuzbiss, wenn der Unterkiefer zu viel und der Oberkiefer zu wenig wächst, eine gestörte Kaufunktion ohne Berührung der betroffenen Zähne mit falscher Zungenlage im Unterkiefer, Mundatmung, offenem Mund und Lispeln. Bei einseitigem Verschieben des Unterkiefers durch einen zu schmalen Oberkiefer sind zusätzlich noch die Kiefergelenke betroffen. Bei Kreuzbiss sollte daher früh, schon im Milchgebiss, mit einer Klammer der Oberkiefer vergrößert werden, so dass der Unterkiefer „hineinpaßt“. 

Auch andere, durch Kieferfehllage bedingte, extreme Befunde, sollten im Rahmen einer Frühbehandlung (Dauer maximal 2 Jahre) beseitigt werden, damit sich das Wachstum normalisiert und auch alle Fehlfunktionen abgewöhnt werden können.

Beim Spielerwechsel, der mit sechs Jahren, meistens mit den mittleren unteren Schneidezähnen beginnt, kann auch einiges schief gehen. Bei extremem Platzmangel für die neuen Zähne und Durchbruchsstörungen muß der Kieferorthopäde entscheiden, ob eine frühe Behandlung im frühen Wechselgebiss notwendig ist.

Wichtig ist während der gesamten Zeit des Zahnwechsels zwischen sechs und zwölf Jahren, dass das Spielfeld durch die „Abwehr“ (die Milcheckzähne und die kleinen Backenzähne) verteidigt wird und erhalten bleibt bis die Nachfolgezähne kommen. Bei vorzeitigem Milchzahnverlust prüft der Kieferorthopäde, ob ein Lückenhalter nötig ist, oder ob der bleibende Zahn schon auf der Bank sitzt und auf seinen Einsatz wartet.

Das typische Klammeralter (spätes Wechselgebiss) ist zwischen 10 und 14 Jahren, weil zu diesem Zeitpunkt die „Abwehr“ wechselt und beim Durchbruch der Eckzähne und kleinen Backenzähne Platz übrig bleibt, den der Kieferorthopäde mit einer Klammer für eng stehende, vordere Zähne ausnutzen kann. Außerdem ist zwischen dem 10. und 14. Lebensjahr das meiste Wachstum zu erwarten, das dem Kieferorthopäden hilft den Ober- und Unterkiefer in die richtige Richtung zu verschieben. Daher ist es nicht sinnvoll zu warten bis alle bleibenden Zähne durchgebrochen sind, denn dies kann zu einer längeren und schwierigeren Behandlung führen. Während der „normalen“ Klammerzeit kann der Kieferorthopäde alle Zahn- und Kieferfehlstellungen unter Ausnutzung des Zahnwechsels und des Wachstums mit den herausnehmbaren und festsitzenden Klammern bei guter Mitarbeit des Patienten behandeln. 

Bleiben Zahn- und Kieferfehlstellungen über dieses Alter hinaus unbehandelt, so wird eine „Spätbehandlung“ im bleibenden Gebiss langwieriger und umfangreicher.

Nach Wachstumsabschluss können im Erwachsenengebiss bei ausreichendem Kieferknochenangebot und entzündungsfreiem, nicht blutendem Zahnfleisch Zahnbewegungen mit der festen Zahnspange durchgeführt werden. Bei extremen Kieferfehlstellungen ist eine kombiniert kieferorthopädisch-kieferchirurgische Behandlung mit operativer Verlagerung der Kiefer möglich.

Zur Zeit werden Frühbehandlungen bei einigen ausgeprägten Kieferfehlstellungen von den gesetzlichen Krankenkassen bezuschusst. Für die Behandlung aller übrigen Zahn- und Kieferfehlstellungen gilt, dass sie je nach Ausprägungsgrad (seit Januar 2002 Kieferorthopädische Indikationsgruppen) im späten Wechselgebiss bezuschusst werden. Die kieferorthopädische Behandlung ab dem 18. Lebensjahr ist nur dann „Kassenleistung“, wenn auch eine kieferchirurgische Operation zur Beseitigung der Kieferfehlstellung medizinisch notwendig ist.

Um auf keinen Fall ein Trainingslager für die Mannschaft zu verpassen, sollten Eltern so früh wie möglich, bei ihrem ersten Zahnarztbesuch mit dem Kleinkind und auch später bei den regelmäßigen Kontrollen darüber sprechen, ob ein Termin beim Kieferorthopäden sinnvoll ist. Je eher Schwächen des Teams erkannt und behoben werden, um so besser für die Zukunft der Zahngesundheit.